Die Hure von Rom - Walz, E: Hure von Rom
versteht, was das zu bedeuten hat.
Hier ist alles in Aufregung. Stell dir vor: Die Muttergottes war nur ein paar Klosterzellen von mir entfernt! Ist das nicht spannend? Ich halte dich auf dem Laufenden. In drei Wochen sind wir wieder zusammen. Inés und ich können es gar nicht erwarten, dich und Papa in die Arme zu schließen.
Deine Dich liebende Tochter Laura
Das war ein interessanter Fund, der, in den richtigen Händen, Rückschlüsse auf Carlottas Vergangenheit ermöglichte. Wer hätte gedacht, dass sie einen Mann und eine Tochter hatte – oder gehabt hatte. Man würde mit ihm zufrieden sein.
Er schrieb den Brief ab und legte ihn ebenso wie den Rosenkranz wieder in die Lade zurück. Carlotta sollte nicht merken, dass jemand in ihr Zimmer eingebrochen war.
Es war nur ein Gefühl, aber er glaubte, die Wohnung schon sehr bald wiederzusehen.
26
Als sich die Tür des Hauses Farnese vor Sandro öffnete, blickte er in ein Gesicht, mit dem er nicht gerechnet hatte.
»Mutter.«
Sie sah ihn an, ohne eine Miene zu verziehen, steif und würdevoll. Der Tod, erinnerte sich Sandro, war für sie stets eine äußerst ernst zu nehmende Zeremonie, die nicht zugunsten irgendwelcher
Gefühlsäußerungen unterbrochen werden durfte. Beim Betreten des Hauses zeigte sich die ganze Arbeit, die sie im Trauerhaus bereits geleistet hatte: Die Fenster und die Spiegel waren schwarz verhüllt, Trauerbänder hingen am Treppengeländer, die Dienerschaft hatte die Spuren gestriger Fröhlichkeit restlos beseitigt, und offensichtlich war auch schon ein Geistlicher zum Trost bestellt worden, denn seine Mütze lag auf einer Ablage. Elisa Carissimi hatte an alles gedacht. Sandro konnte sich gut vorstellen, wie sie, kaum angekommen, die Geschicke des Hauses in die Hand genommen hatte, nicht laut wie ein Kommandant, sondern still und beherrscht. Sie hatte eine sehr genaue Vorstellung davon, wie der Tod eines nahen Familienangehörigen zelebriert werden musste, welche Gebete man zu sprechen, welche Miene man aufzusetzen, welche Haltung man einzunehmen hatte. Mit der Religion kannte sie sich besser aus als der Papst.
»Ranuccio ist in seinem Arbeitszimmer«, sagte sie, »zusammen mit deinem Vater. Er sieht furchtbar aus – Ranuccio meine ich. Er sieht ekelhaft aus.«
Diese drastische Bemerkung deutete darauf hin, dass die gestrige Feier wohl deutliche Spuren in Ranuccios Gesicht hinterlassen hatte und nicht zu der erhabenen Trauer passte, die Elisa für die einzig angebrachte Reaktion auf Sebastianos Tod hielt.
»Francesca ist oben in ihrem Zimmer. Sie ist völlig aufgelöst, hat Fieberanfälle und Krämpfe. Ein Arzt überwacht ihren Zustand. Außerdem habe ich den Pfarrer kommen lassen.«
Forli wandte sich augenblicklich der Treppe zu, aber Elisa hinderte ihn daran, seinem Drang nachzugeben und nach oben zu gehen. Nicht, dass sie sich ihm in den Weg gestellt hätte. Ein Schritt von ihr genügte, ein kleiner Schritt in Richtung der Treppe, eine Andeutung nur, dazu eine schwache, ohnmächtige Geste mit der Hand. Sie hielt das Kreuz auf ihrer Brust
umklammert, als sei es eine letzte Zuflucht, ein verzweifelter Zauber. Forli blieb stehen, als er das Flehen in ihren Augen erkannte. Sie war schwach, und mit ihrer Schwäche erreichte Elisa stets alles. Sie hatte es immer verstanden, ihre Schwäche einzusetzen, um über die Familie zu herrschen. Kleine Gesten hatten stets genügt: ein Seufzen, eine Berührung der Schläfe, ein Zittern der Lippen, das Umklammern des Kreuzes … Sie präsentierte ihre Ohnmacht, ihr Leiden und Flehen, stellte sie zur Schau, zelebrierte sie wie alles andere, wie die Trauer, wie den Tod. Vielleicht ahmte sie so, ohne es zu wissen, den geliebten Jesus nach. Ihrem Leiden konnte niemand widerstehen.
»Wir müssen uns in Zurückhaltung üben in dieser schweren Stunde«, sagte sie mit dem ihr üblichen Pathos. »Unsere eigenen Wünsche haben zurückzustehen, allein die Sorge um die Trauernden hat unser Handeln zu bestimmen. Francesca braucht Ruhe, das ist jetzt das Wichtigste. Nur der Priester, der Arzt und Francescas alte Zofe dürfen zu ihr.«
»Was hattest du gesagt, wo ist Ranuccio?«, fragte Sandro. »Ich nehme doch an, er ist ansprechbar.«
»Das trifft zu«, antwortete sie mit leiser Verachtung und deutete auf die Tür zum Arbeitszimmer. »Dein Vater ist bei ihm.«
Als Sandro und Forli ins Arbeitszimmer kamen, unterhielt sich Ranuccio angeregt mit Alfonso. Sie schienen zwar nicht gestritten zu haben, aber es
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