Die Hure von Rom - Walz, E: Hure von Rom
Tod an diese Möglichkeit gedacht, an den Tod durch eigene Hand. Die ganze Welt war ihm wie einzige Fäulnis vorgekommen, ein durch und durch moderiger Ort, bewohnt von ekelhaften, gierigen Kreaturen, von denen er selbst eine war. Er hätte den Mut zum Tod, diesen größten Mut, den man haben konnte, irgendwie aufbringen müssen, und vielleicht hätte er ihn auch aufgebracht, wenn Maddalena nicht gewesen wäre. Sie stellte die Verbindung zum Schönen her, zum Lebenswerten, seine Liebe zu ihr war stärker als sein Ekel vor der Welt.
Nun war auch sie gestorben. Was hinderte ihn noch daran, sich zu vergiften, mit Wein zu vergiften, so wie Sandro es tat, Tag für Tag?
Er stieß einen unwilligen Laut aus. Nun nannte er Carissimi schon Sandro. Aber irgendjemanden musste er ja haben, den er mochte, sonst gäbe es gar nichts mehr, für das es sich lohnte weiterzuleben.
Massa räusperte sich. »Ich fühle mich verpflichtet, Eure Heiligkeit darauf hinzuweisen, dass diese Carlotta in enger Verbindung zu Bruder Carissimi steht. Es ist nicht auszuschlie ßen, ja, sogar anzunehmen, dass er über ihr Vorleben im Bilde ist, möglicherweise sogar …«
Julius richtete langsam seinen Blick auf Massa, so als nehme er ihn ins Visier. Massa war kein Dummkopf, er spürte, dass Julius dabei war, einen Favoriten aufzubauen, und ärgerte sich, dass nicht er selbst dieser Favorit war. »Massa, ich schlage dir vor, mir zu sagen, dass ich dich missverstanden habe.«
Massa erkannte blitzschnell, dass er zu weit gegangen war, und wie alle guten Intriganten schloss er sich der Meinung seines Dienstherrn an, um auf anderem Wege sein Ziel zu erreichen. »Ihr habt mich gewiss missverstanden, Eure Heiligkeit. Ich habe mich ungeschickt ausgedrückt.«
Julius murrte in sich hinein und reichte Massa den Kelch, damit er ihn auffüllte. Nach und nach bekam er sich wieder in die Gewalt. Der Wein half ihm dabei, sich zu beruhigen, und er half ihm auch, hemmungslos zu werden.
Carlotta da Rimini war zur Mörderin an seinem Sohn geworden. Er würde zum Mörder an ihr werden.
An der Art, wie er Massa ansah, erkannte dieser, was er zu tun hatte.
Sandro betrat die Kirche Sant’ Agostino. Sie war kühl und angenehm leer, genau das, was er brauchte, um in sich zu gehen, nachzudenken, Entscheidungen zu treffen, die er längst hätte treffen sollen. Entscheidungen, die er aus Angst vor den Konsequenzen vor sich hergeschoben hatte. Monatelang lebte er nun schon in einem Zustand, nicht ohne Antonia sein zu können, aber auch nicht mit ihr. Vorhin hatte er Forli und Francesca gesehen. Zwischen den beiden, die so verschieden waren wie Antonia und er, entstand etwas. Sie zeigten ihre
Liebe, suchten die Nähe. Wieso scheute er sich? Hatte Carlotta recht? Machte er sich zu viele Sorgen?
Diese Fragen gingen ihm während der Andacht durch den Kopf, der ersten Andacht seit vielen Monaten, seit der Wein die Stelle des Gesprächs mit Gott eingenommen hatte. Er kniete lange im Kirchenschiff und bat um einen Ratschluss, ein Zeichen.
Was dann geschah, war grotesk, war empörend, ja, blasphemisch – und gleichzeitig nicht ohne Witz. Während er nämlich unentwegt an Antonia dachte, wurde sein Penis hart. Entschieden wies er die Vermutung zurück, dies sei das göttliche Zeichen, auf das er gewartet habe. Zumindest aber war es ein weltliches, ein menschliches, ein körperliches Zeichen, und galten die denn so viel weniger als die göttlichen? Zumal ein göttliches Zeichen ausblieb. Seine Liebe – und auch sein Begehren – waren doch nichts anderes als Stimmen aus seinem Inneren, seinem Herzen, wo auch Gott wohnte. Sein Körper liebte Antonia, sein Geist liebte Antonia. Wie könnte seine Seele da Schaden nehmen?
Die Person, die sich in diesem Moment neben ihn kniete, hätte das bestimmt anders gesehen.
Elisa Carissimi war nie schöner als in einer Kirche, während einer Andacht, mit ihrem hauchzarten Schleier vor dem Gesicht. Sie war eine korpulente, ältliche Dame, aber die Würde und Grazie, die sie zeigte, sobald sie ein Gotteshaus betrat, war unbestreitbar und beinahe unheimlich. Ihr Gesicht verwandelte sich dann stets in das einer frühchristlichen Gestalt. Sie gab das Bild einer Frau ab, die Trost und Heil gefunden hatte und die bereit war, dafür zu sterben.
Während er sie schweigend anblickte, kamen ihm die unzähligen Andachten in Erinnerung, die er als Kind – nur er und sie – neben und mit ihr verbracht hatte. Es mussten an die tausend gewesen
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