Die Hure von Rom - Walz, E: Hure von Rom
entfernte er sich von ihr.
Sie rief leise und flehentlich: »Geh nicht, Sandro. Wirf dich dem Allmächtigen zu Füßen. Vertraue mir, ich will nur dein Bestes. Ich werde dir helfen, den Schmutz abzustreifen, der dein heiliges Gewand besudelt hat. Bleib bei mir, Sandro. Bleib bei mir, verlass mich nicht.«
Er stieß mit dem Rücken an die Kirchenpforte. Ihm war, als ziehe eine unsichtbare Kraft ihn in die Richtung seiner Mutter, eine Kraft, die sich speiste aus Erinnerungen, aus Kindheit, aus glücklichen Stunden mit Elisa an seinem Bett, die sich speiste aus einem sorgenden Blick, aus geflüsterten Worten, aus einem Streicheln, aus dem Schwarz ihrer Kleider, dem Wispern ihrer Gebete, dem Falten ihrer Hände und der Art, wie sie ihr Haar steckte. Die Kraft, die sich aus Vertrautem speiste, daraus, dass sie seine Mutter war.
Zugleich spürte er die andere Kraft, welche ihn festhielt, ja, die ihn fortzog von ihr.
Er war wie zu Eis erstarrt.
»Wenn du jetzt gehst«, sagte sie mit dunkler Nachdrücklichkeit, »wenn du zu ihr gehst, dann bist du nicht mehr mein Sohn.«
Alle Unsicherheit und jeder Zweifel, alles, was ihn seit Monaten im Griff hielt, waren urplötzlich verschwunden.
»Ich liebe sie«, sagte er. »Und ich gehe jetzt zu ihr und sage ihr das.«
Er verließ überstürzt die Kirche und schlug den Weg zum Teatro ein. Sein Schritt war hastig; die Menschen blickten ihm nach, als er über dämmernde Piazzen und durch Straßen rannte. In ihren Augen war er gewiss ein Prediger, der zu spät zur Heiligen Messe am Samstagabend kommen würde, doch
in Wahrheit war er – wenn man Elisa glauben durfte – ein Prediger auf dem direkten Weg in die Hölle, und das Schlimme, das Furchtbare, das Wunderbare war, dass er darüber eine überbordende Freude empfand, so als sei er aus einem Netz entkommen. Er wusste selbst noch nicht, was er Antonia sagen und was er tun würde, aber zum ersten Mal war er bereit, ihr und sich selbst die Liebe einzugestehen, und besser noch, alle Bedenken beiseitezuschieben und die Liebe zu leben.
28
Milo trug sie über die Schwelle, hielt sie in seinen Armen, als wäre sie ein Königskind, und ließ sie erst auf dem Bett wieder los. Sie kamen von einem Spaziergang zurück und waren in ihrem Zimmer; sie lag auf ihrem Bett, und er stand neben ihr, nur einen halben Schritt entfernt. Er ging in die Hocke, sodass sie nur die Hand hätte auszustrecken brauchen, um seine Tunika dort zu greifen, wo sie sich zur Brust hin öffnete. Sie bekam Lust, die Tunika zu zerreißen, jeden Fetzen Kleidung an Milo zu zerreißen, aber sie beschränkte sich darauf, ihre Augen das ausdrücken zu lassen, was Aufgabe der Hände gewesen wäre.
Ein bisschen war es wie eine erotische Szene aus dem Dekamerone : Ein erfahrener junger Mann und eine erfahrene junge Frau sind zusammen, und beide wissen, was der andere will, was ihn glücklich macht. Antonia fühlte sich wohl und aufgehoben in Milos Blick, im Blick eines Mannes, den sie um nichts bitten musste, den sie nicht überreden musste. Ihm gegenüber durfte sie sich frei fühlen, und doch war er anders als die Gelegenheitsmänner der Vergangenheit. Seine Gesten waren zärtlicher, seine Worte gingen tiefer.
Er wollte etwas sagen, aber sie bedeutete ihm, zu schweigen.
Er verstand nicht.
»Sag nichts«, bat Antonia. »Sprich nicht dabei.«
Er streifte seine Tunika mit einem Ruck über den Kopf und warf sie achtlos zur Seite. Sein Oberkörper war behaart. Auf der linken Brust, über dem Herzen, hatte er ein Muttermal in der Form und Größe einer Olive. Er stand auf, um sich die Hose aufzubinden, und Antonia sah ihm dabei zu. Sie hätte die Zeit nutzen können, um sich selbst zu entkleiden, doch ihre Gedanken schweiften immer wieder ab in entfernte Winkel ihres Gehirns, dorthin, wo abgestorbene Hoffnungen lagerten.
Als sie wieder in der Wirklichkeit ankam, band Milo ihr Oberkleid auf. Er stellte sich dabei weder wie ein Tollpatsch an noch wie jene Routiniers, die in einer Geschwindigkeit vorgingen, die ausdrückte, dass sie das schon tausendmal getan hatten. Milo war langsam, war achtsam. Er ging mit großer Konzentration vor und vermied es zu lächeln. Es war ihm ernst. Er respektierte ihre Wünsche – sie hatte ihn gebeten, nicht zu sprechen, und er sprach nicht. Im dämmerigen Zimmer war es still. Das Rascheln der Kleidung, die er ihr auszog, der Atem – mehr als das war nicht zu hören. Klosterstille, Kathedralenstille. Das Fenster zum Hof war geschlossen
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