Die Hure von Rom - Walz, E: Hure von Rom
Anziehendes, Unbeschreibliches, Geheimnisvolles, Trauriges, Ergreifendes an der Dirne lieben gelernt, hatte vielleicht sogar von einer Zukunft mit ihr geträumt. Maddalena hätte Francesca – Porzia – nie verraten. Nie.
Porzia hingegen – Francesca – erwiderte diese Gefühle nicht, ahnte wahrscheinlich noch nicht einmal etwas davon.
Das war der Stoff, aus dem Tragödien gemacht wurden.
Er verbrachte noch einige Zeit in der Villa, hob den Weinkelch und stellte ihn wieder zurück, ohne aus ihm getrunken zu haben. Irgendwann löschte er alle Kerzen und verließ die Villa, um die letzte Aufgabe der Nacht zu erledigen – und die schwerste.
36
Das Gefängnis des sechsten Bezirks war stickig und feucht, weshalb es bei Insassen und Mannschaften berüchtigt, bei Ungeziefer jedoch beliebt war. Als Sandro das Zimmer der Wache betrat, kam es ihm vor, als laufe er gegen eine Wand aus Wärme und Schweiß, und mit einem Mal wurde ihm klar, wieso Forli stets streng roch. Die Wachen vertrieben sich die Zeit mit Würfeln und wiesen ihm auf seine Frage hin nur ungefähr den Weg zu Forlis Quartier. Er passierte mehrere Türen, an denen man sich den Kopf stieß, wenn man ihn nicht einzog, drängte sich durch einen Gang, der nicht breiter war als ein stämmiger Körper, und gelangte schließlich in eine Art Kammer. Forlis Name war mit einem Schnitzmesser behelfsmäßig in die Tür gekerbt worden, auf der schon die – wieder durchgestrichenen – Namen von fünf Vorgängern standen. Nach nur wenigen Augenblicken in diesem Gebäude war die bedrückende Eintönigkeit fast unerträglich. Wie musste sich da jemand fühlen, der seit mehr als einem halben Jahr fast nichts anderes zu sehen bekommen hatte? Und wie ließen sich in einer solchen Umgebung Schicksalsschläge bewältigen?
Forli öffnete sofort auf Sandros Klopfen hin die Tür. Sein
Quartier roch nach dem ranzigen Öl der zwei Lampen, deren winzige Flammen noch nicht einmal alle Ecken des kleinen Zimmers ausleuchteten. Der Hauptmann des Gefängnisses des sechsten Bezirks wohnte nur wenig besser als die Gefangenen.
Forli setzte sich auf seine Pritsche, ein Nachtlager, das mit einer einfachen grauen Wolldecke bezogen war. Licht und Schatten fochten auf seinem Gesicht einen unaufhörlichen Kampf aus, doch Forli selbst regte sich kaum. Er wirkte wie jemand, der seit Stunden in der gleichen Haltung auf dem Nachtlager saß, leicht vornübergebeugt wie ein Kutscher auf dem Kutschbock, die Arme auf die Schenkel gestützt, starr vor sich hinblickend … Ein Gesicht ohne Tränen und ohne Trauer, aber auch ein Gesicht ohne Kraft. Alles, was Forli ausmachte, seine körperliche Stärke, seine Zähigkeit und Furchtlosigkeit, war verschwunden.
Sandro setzte sich neben ihn auf das Lager, sah an ihm vorbei, passte sich seiner Haltung an. Er sagte nichts und vermied es, den Hauptmann zu berühren. Er versuchte sich vorzustellen, wie es für ihn gewesen sein musste, bei der Durchsuchung von Francescas Zimmer die Kleider und die Perücke zu finden, die Gegenstände einer völlig anderen Person als der, in die er sich verliebt hatte. Und doch derselben Person. Forli hatte darauf bestanden, Sandros Verdacht selbst zu überprüfen, obwohl Sandro ihm davon abgeraten hatte.
»Ist es vorbei?«, fragte Forli nach einer Weile.
»Es ist vorbei«, sagte Sandro.
Ein Wassertropfen fiel von der Decke auf den Boden, wo sich in einer Ecke eine kleine Pfütze gebildet hatte. Es dauerte, bis sich ein neuer Tropfen sammelte und mit einem zarten Geräusch aufschlug.
Drei Tropfen fielen, bis Forli fragte: »Hat sie gestanden?«
»Ja.«
Sandro wagte nicht, Forli anzusehen, denn dieser hätte es gewiss nicht geduldet, in einem Moment der Schwäche betrachtet zu werden wie ein Opfer.
Zwei Tropfen fielen.
»Hat Francesca – hat sie mir etwas vorgespielt?«
Die Antwort darauf war heikel – und kompliziert. Hatte Francesca ihm etwas vorgespielt? Doch die Frage war falsch gestellt. Francesca Farnese, so glaubte Sandro, hatte sich zu keinem Zeitpunkt in Forli verliebt. Und sie hatte ihm dennoch zu keinem Zeitpunkt etwas vorgespielt. Wer sich in Forli verliebt hatte, war Porzia, ein Teil Francescas, der das Kraftvolle, das Unbändige, das Robuste, das Beschützende liebte, jener berauschte, ekstatische Teil einer unterdrückten Frau, die im Widerstreit mit sich selbst stand.
Ein Tropfen fiel.
Sandro antwortete: »Nein, Forli. Nein, sie hat Euch nichts vorgespielt. In ihrem tiefsten Innern liebte sie Euch
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