Die Hure von Rom - Walz, E: Hure von Rom
Gesicht, Sandro, als du da am Ufer standest … Ich hätte schwören können, du stehst unmittelbar davor, einen geliebten Menschen anzuklagen.«
»Ich dachte in diesem Moment an Forli«, sagte er leise. »Deswegen weihte ich ihn auch als Ersten ein, unter vier Augen. Natürlich glaubte er mir nicht. Ich würde auch demjenigen nicht glauben, der mir weiszumachen versuchte, dass meine große Liebe« – dabei versuchte er, weder auffällig zu Antonia zu blicken noch auffällig an ihr vorbeizublicken – »eine Mörderin ist. Darum überließ ich ihm die Aufgabe, selbst die Wahrheit zu erkennen.«
»Ich hatte ja keine Ahnung, dass Forli und Francesca … Das ist mir völlig entgangen.« Antonias Unbeschwertheit schlug in Betroffenheit um, und wie immer spürte man, dass alles, was sich auf ihrem Gesicht abzeichnete, ein Spiegel ihres Inneren war. Eben noch heiter, litt sie jetzt mit Forli. So war sie, eine Künstlerin mit der Fähigkeit, tief in die menschliche Seele einzutauchen, die Freude wie den Schmerz, die Hoffnung wie die Hoffnungslosigkeit nachzuempfinden.
Wie hatte er auch nur einen Lidschlang lang glauben können, jemals wieder ohne Antonia leben zu können?
»Wie schrecklich«, sagte sie gedankenverloren, »sich vorzustellen, welches Unheil diese Frau über so viele Menschen gebracht hat und dass sie fähig war, ihren Bruder, einen Menschen, den sie liebte, zu töten, ihn kaltblütig abzustechen. Wie alles beherrschend dieser Trieb in ihr gewesen sein muss, diese Sucht, Porzia zu sein und von Männern berührt zu werden …«
Sie hielt mitten im Satz inne, vielleicht, weil sie ein wenig, ein ganz klein wenig von sich in dieser Porzia entdeckt hatte, nicht in der Mörderin, aber in der Süchtigen.
»Ich bin mir sicher«, sagte Sandro, »dass sie nicht in der Lage gewesen wäre, dauerhaft auf ihr zweites Leben zu verzichten, schon gar nicht nach ihrer schrecklichen Mordtat. Die Verzweiflung hätte sie nach wenigen Wochen wieder nach Trastevere getrieben, wo sie in ähnlicher Verkleidung, mit anderer Perücke und mit anderem Namen noch heftiger als zuvor ihrer unbändigen Leidenschaft nachgegeben hätte.«
Er zögerte einen Augenblick, um anzudeuten, dass er jetzt nicht mehr ausschließlich von Francesca sprach. »Keiner von uns«, fuhr er fort, »kann sein Wesen verleugnen. Wir sind, was wir sind, und wenn die Umstände uns im Wege stehen, finden wir irgendeinen Weg, sie zu umgehen. Früher oder später.«
Sie sahen sich schweigend an. Noch während sie gesprochen hatten, war die Sonne vor das Fenster gewandert und warf breite Strahlen durch den ganzen Saal, der nun erstrahlte wie ein See geschmolzenen Goldes. Die langen Schatten ihrer beider Körper vereinigten sich auf dem Fußboden.
Eine Glocke schien Antonia von weit her in die Gegenwart zurückzuholen.
»Jetzt hätte ich fast vergessen, weswegen ich gekommen bin«, sagte sie, stand auf und ging vor die Tür. Kurz darauf kam sie mit einem verpackten Gegenstand zurück. Sie legte ihn zwischen die Gebäckschalen auf den Tisch.
»Mach auf«, sagte sie.
»Ist das für mich?«
»Das wirst du gleich sehen.«
Er entfernte die Schnüre und faltete das Leintuch auf. »Aber das ist ja …«
»Ja, das ist es.«
Sie hatte das Fenster, das er bei seinem Wutanfall zertrümmert hatte, neu gestaltet. Es war erheblich kleiner und sah nicht genauso aus wie das Erste, und die Ähnlichkeit der Figuren mit Sandro beziehungsweise Antonia war nicht mehr
so eindeutig zu erkennen. Doch es bildete dasselbe Motiv ab: Eine junge Frau, die einen Engel an der Wange berührt.
»Ich arbeite schon seit ein paar Tagen daran. Als Glasmaterial habe ich ausschließlich die Scherben genommen, die du und ich produziert haben.« Sie lächelte als Zeichen, dass sie mittlerweile darüber lächeln konnte. »Ich finde, du solltest es jetzt mal eine Weile für dich haben. Zwischen all den Tintoretto hier macht es sich bestimmt gut.«
Sein Blick ging zwischen Antonia und dem Glasbild hin und her. Er war sprachlos. Etwas, das zerstört gewesen war, war von ihr wieder zusammengefügt worden.
»Ich weiß gar nicht – was ich …«, stammelte er.
»Nicht doch«, sagte sie und blickte verlegen zu Boden. »Über solche Dankesrituale sind wir doch hinaus. Du hast viel mehr für mich getan als ich, die ich ein paar Scherben zusammengekehrt habe, für dich getan habe.«
»Ja, und wie viel mehr! Ich habe die Scherben verursacht.«
Sie neigte den Kopf zur Seite und lächelte. »Nun
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