Die Hure von Rom - Walz, E: Hure von Rom
Gewohnheit an, diesen jungen Jesuiten zu mögen. Nicht nur, weil er ein Freund Innocentos gewesen war, sondern weil Julius in ihm einen Charakter erkannte, der zu Höherem berufen war und den er selbst vor vielen, vielen Jahren gehabt hatte. Zu gegebener Zeit würde er Carissimi noch näher zu sich heranholen, ihm noch größere Gunst erweisen und ihn zur Karriere zwingen. Nachdem er Innocento und Maddalena verloren hatte – wieso sollte er da nicht anfangen, jemanden, der ihm sympathisch war, zu fördern. Es wäre eine geradezu väterliche Aufgabe für Julius, die Voraussetzungen für Carissimis Aufstieg zu schaffen, und wie bei allen Söhnen musste man behutsam vorgehen, damit sie nicht bemerkten, dass man ihnen den Weg bereitete.
Im Augenblick jedoch beschäftigte Julius etwas anderes.
»Da war eine Frau bei Carissimi«, sagte er zu Massa. »Sie heißt Carlotta da Rimini, gewiss kein echter Name.«
»Ist sie seine Konkubine?«
»Nein, das glaube ich nicht.«
»Weshalb erwähnt Ihr sie, Eure Heiligkeit?«
Wieder sah er ihre Augen vor sich, diese Augen, die ihn irgendwie beunruhigten. »Ich möchte, dass du alles über sie herausfindest, Massa. Schick Spione los. Ich erwarte deinen Bericht innerhalb der nächsten zwei Tage.«
16
Rache konnte zur Sucht werden, von der man nie genug bekam. Carlotta hatte jahrelang nur Rache im Kopf gehabt: Rache für ihre ermordete Tochter, Rache für ihren gebrochenen Mann, der sich selbst das Leben genommen hatte, und Rache für die gefolterte, geschundene Inés, ihre Pflegetochter, die noch heute unter den Folgen der Misshandlungen litt. In Trient hatte Carlotta Innocento getötet – und damit dessen Vater, dem Papst, dem Schuldigen, einen schweren Schlag versetzt. Indem sie den Papst bestraft hatte, hatte sie jedoch zugleich sich selbst bestraft, denn die Reue, die dieser Tat folgte, war eine beständige Qual.
Die unerwartete Begegnung mit Julius war zur Nagelprobe geraten. Konnte sie die Zerstörungen vergessen, die dieser Mann in ihrem Leben angerichtet hatte? Wenn überhaupt irgendein Ereignis dazu geschaffen war, sie wieder rückfällig werden zu lassen, dann war es ein Zusammentreffen mit dem Mann, der für sie ein Mörder war.
Ihr erster Gedanke, nachdem sie Sandros Amtsraum verlassen hatte, war, sich eine Waffe zu besorgen, zurückzukehren und Julius niederzustrecken. Voller Neid betrachtete sie die Hellebarden der Schweizergarde. Schutzlos sah sie sich den schlechten Gefühlen ausgeliefert. Kein Gedanke an ihre guten Vorsätze, der Rache abzuschwören, kein Gedanke auch an die Qual der Reue nach Innocentos Ermordung. Unschlüssig lief sie durch die Gänge des Vatikans, immer schneller und verstörter. In einem der Höfe tauchte sie ihr Gesicht in einen kleinen Brunnen, der aus dem Mauerwerk sprudelte. Eine steinerne, hässliche Fratze sah sie an, eine Medusa, aus deren Mund das Rinnsal ins Becken plätscherte. Sie war verwittert, aber ihre im Wahnsinn aufgerissenen Augen hatten eine starke, zugleich
abschreckende und faszinierende Wirkung. Carlotta verharrte lange Zeit vor diesem kleinen Wandbrunnen mit der Medusa und horchte in sich hinein. Sie war noch immer aufgewühlt, da war jedoch noch ein anderes Gefühl, das mit jedem Atemzug dominierender wurde. Obwohl sie es zunehmend spürte, dauerte es, bis sie es erkannte.
Ja, das war es – Müdigkeit. Sie wurde der Rache müde. Da war kein Bedürfnis nach Rache, kein Hass mehr, es war alles aufgebraucht, ein Gestank, der sich verflüchtigt hatte; es war nichts Hässliches mehr in ihr, sondern nur noch Sehnsucht nach den Verstorbenen, nach Laura und Pietro und Hieronymus, nach Freundschaft für die Lebenden, für Antonia und Inés. Genug dieses Giftes, dieses Gestankes, genug der Rache, die sie bereits teuer bezahlt hatte. Sie würde Julius nie vergeben, sie würde das Erlittene nie vergessen – aber sie wollte Ruhe. Wäre es Laura recht, dass sie sich einer Rache wegen ihr eigenes Leben verdarb und dabei noch etliche andere mit hinabzog? Würde diese neuerliche Rache nicht auch Sandro und Antonia gefährden? Wie viele Menschen sollten noch sterben, weil vor Jahren ein Mädchen von der Inquisition getötet worden war? Genug der Morde. Genug der Inquisitionen, auch der eigenen. Carlotta nahm den Tod und das Leiden hin, und sie nahm die Schuld anderer wie auch ihre eigene hin.
Sie richtete sich auf und wandte den Blick von der Medusa ab. Es war, als schließe sich eine Tür, die in den Keller führte, und dafür
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