Die Hure von Rom - Walz, E: Hure von Rom
Geschichten. Ich habe viele verschiedene Himmel sehen wollen, endlose Himmel, purpurne Himmel, goldene Himmel, die sich mit dem Ozean zu einem dünnen Gestade am Horizont vereinen. Das alles habe ich geträumt in diesen Tagen und Abenden mit dem Fluss in meinen Augen und Ohren, genau hier auf dieser Brücke, an dieser Stelle in der Mitte.«
Antonia lehnte sich neben ihm an die Brüstung, so nah, dass ihre Ellenbogen sich berührten. Milo sah auf die Stelle, wo die Berührung stattfand, und sagte: »Irgendwann, ich war vierzehn oder fünfzehn Jahre alt, kam meine Mutter zu mir und gestand, dass sie mich auf dieser Brücke empfangen habe.«
»Hier?«
»Hier. Er war ein hoher Geistlicher, und sie war eine Hure. Ich bin der Sohn eines Prälaten und einer Hure, die es mitten in der Nacht auf einer Brücke miteinander getrieben haben. Wäre er so anständig gewesen und hätte mich wenigstens inoffiziell als seinen Sohn anerkannt, dann hätte er mich studieren lassen und mir eine Kirchenlaufbahn ermöglicht. Ich wäre jetzt mindestens Bischof.«
Auch Antonia blickte auf die Stelle, an der ihrer beider Ellenbogen sich berührten. »Und ich dachte, du bist zufrieden
mit dem, was du bist. Jedenfalls hast du bisher diesen Eindruck auf mich gemacht.«
»Ich bin zufrieden«, erwiderte er. »Gegen die Vergangenheit ist man wehrlos, also akzeptiert man sie besser. Ich habe ein bequemes Leben und tue, was mir gefällt. Was will ich mehr? Hast du meine Hosen gesehen? Die trage ich, weil sie bequem sind und mir gefallen. Als Bischof könnte ich sie nicht tragen. An warmen Tagen liebe ich es, barfuß zu gehen. Hast du schon einmal einen Bischof gesehen, der barfuß eine Messe liest?«
Antonia lachte. »Ich wette, du würdest auch das fertigbringen.«
Milo stimmte in ihr Lachen ein. »Meinst du?«
»Ja, du bist verrückt.«
»Ich bin verrückt? Du nennst mich verrückt?« Er kitzelte sie an der Taille. »Hältst du diese Meinung aufrecht oder...«
Sie krümmte sich vor Lachen. »Ich nehme alles zurück«, rief sie. »Und ich behaupte das Gegenteil, wenn du willst. Nur hör bitte auf.«
Er ließ sie los, und sie beugten sich gemeinsam wieder über den warmen Stein der Brüstung. Sie atmeten im Gleichklang und sahen sich dabei an.
»Hast du einen Gefährten?«, fragte er sie. »Du weißt schon, jemanden, mit dem du – nun ja – zusammen bist?«
Was sollte sie darauf antworten? Dass es jemanden gab? Dass es einen Traum gab, so ähnlich wie den, den Milo als Junge von den Himmeln und den Abenteuern und Geschichten am Flusslauf geträumt hatte, mit dem einzigen Unterschied, dass ihr Traum aus Fleisch und Blut war? Dass sie im Grunde deswegen ins Teatro gekommen war, um den Mann, den sie liebte und zu verlieren drohte, zu ködern?
»Wieso willst du das wissen?«, fragte sie, um eine Antwort verlegen.
»Du bist eine Frau, mit der ich spazieren gehe. Du bist eine
schöne Frau, mit der ich spazieren gehe. Du bist eine schöne Frau, die dasselbe wie ich hört, riecht und spürt, wenn sie auf dieser Brücke steht. Darum will ich es wissen.«
»Würde es dich stören, wenn es jemanden gäbe?«
»Nein.«
Sie wollte antworten, aber sie wusste nicht, was. Milo drängte nicht weiter.
»Ist schon in Ordnung«, sagte er. »Lass uns zu Porzia gehen.« Er ging wie vorhin einige Schritte voraus. Antonia musterte seinen Körper, beobachtete das Spiel seiner Rückenmuskeln unter der Tunika und die Lässigkeit seines Ganges, die so typisch für ihn war. Mit ihm war alles so einfach. Er duzte sie, er berührte sie, ging barfuß, teilte seine Vergangenheit mit ihr, streichelte ihre Hände, nannte sie eine schöne Frau. Und das alles mit leichter Geste. Bei Sandro war alles eine große Sache wie ein Hochamt. Seine Blicke, seine Worte, seine Gefühle wirkten zelebriert, weil er nur Weniges davon preisgab und das meiste zurückhielt. Er hatte sie nie eine schöne Frau genannt, er ergriff nie ihre Hände. Jedes Lob, jedes zärtliche Wort von ihm wirkte so, als würge er eine glühende Kohle die Kehle hoch. Als er sie ein einziges Mal in Trient gelobt hatte, hatte er sich dabei komplizierter und verlegener ausgedrückt als ein Vater, der seinem achtjährigen Sohn erklärte, woher die Kinder kamen. Sechs Monate kannte sie Sandro nun schon, und sie hatten einiges miteinander durchgemacht, aber ihr kam es vor, als kenne sie ihn nicht besser als Milo, dem sie erst gestern begegnet und mit dem sie seither zwei Gespräche geführt hatte.
Antonia
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