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Die Hure von Rom - Walz, E: Hure von Rom

Titel: Die Hure von Rom - Walz, E: Hure von Rom Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eric Walz
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öffnete sich ein Fenster, von dem aus sie einen Spalt des Himmels erblickte. Plötzlich spürte sie eine große Leichtigkeit, als hätte sich eine Kette von ihrem Leib gelöst.
    Sie war frei. So fühlte sie sich: wie eine Befreite.
    Den ganzen Nachmittag hindurch spazierte sie durch Rom, genoss dankbar die luftigen Brisen, beobachtete die Aprilschwalben bei ihren akrobatischen Kunststücken, hörte die Spatzen streiten. Und dann betrat sie das einzige Zuhause, das
ihr noch geblieben war. Das Teatro war heimatliches Land, Freundesland, bevölkert mit Menschen, mit denen sie umzugehen wusste, deren Sprache sie verstand, deren Leiden sie kannte. Auch wenn man nicht glücklich in dieser Heimat werden konnte: Carlotta würde dorthin zurückkehren.
     
    Antonia blickte lächelnd auf Milos Beine. Sie ging ein paar Schritte hinter Milo, und eigentlich versuchte sie, sich auf den Weg zu Porzias Quartier zu konzentrieren, den er ihr zeigte. Doch so sehr sie sich auch bemühte, sie blickte immer wieder auf seine Beine. Sie waren dunkel behaart und maronenbraun. Er ging – ungewöhnlich genug – barfuß, außerdem trug er helle Fischerhosen, die nur bis zum Knie reichten. Die Tunika war von ihm versehentlich oder absichtlich nachlässig in die Hose gestopft worden, sodass sie an einigen Stellen über die Hose fiel. Er sah aus wie ein Seemann auf Landgang.
    Eine Weile sagte keiner von ihnen etwas. Milo ging schweigend vor ihr her, und sie folgte ihm ebenfalls schweigend. Er wirkte nachdenklich. Aber plötzlich, so als habe er eine Entscheidung gefällt, blieb er mitten auf einer Tiberbrücke stehen und blickte in verschiedene Richtungen.
    »Ist das nicht herrlich?«, fragte er.
    Sie verstand nicht, was er meinte. Er stellte sich hinter sie und hielt ihr mit den Händen die Augen zu. »Was hörst du? Was spürst du?«
    Sie spürte seine Hände, und sie spürte einen Teil seines Körpers an ihrem Rücken.
    »Warte noch eine Weile«, sagte er.
    Sie wartete, beide warteten sie, ohne zu sprechen. Seine Hände lagen noch immer auf ihrem Gesicht, und die Wärme, die von ihnen ausging, vermischte sich mit der Wärme der Mittagssonne. Sie sagte ihm, dass sie genau das spürte.
    »Gut«, sagte er. »Was noch?«

    Sie begann, den Fluss zu hören, der behäbig und fast geräuschlos unter ihnen in Richtung Meer strömte; sein dumpfes Rauschen, sein Gluckern; dann die Rümpfe kleiner Boote, die sich aneinanderrieben; den Schrei einer Möwe; eine Glocke, weit entfernt; Kinderstimmen. Mit der Zeit vermischten sich ihre Sinne auf seltsame Weise: Sie roch die Wärme des Brückensteins; sie fühlte den Tiber unter sich; sie schmeckte die Sonne auf ihren Lippen. Die Geräusche der Ewigen Stadt verschmolzen miteinander zu einer Melodie wie die verschiedenen Instrumente einer Sonate. Sie hätte ewig zuhören können.
    »Unglaublich«, sagte sie. »Ist das ein magischer Platz? Ich rieche sogar Düfte, die gar nicht da sind.«
    »Was, zum Beispiel?«
    »Sandelholz. Ich rieche Sandelholz auf einer Tiberbrücke. Das gibt’s doch gar nicht.«
    Er nahm die Hände von ihren Augen. »Riechst du es immer noch, das Sandelholz?«
    »Nein.«
    »Der Duft hängt mir an den Händen«, sagte er. »Ich habe Sandelholz immer schon gern gerochen, darum reibe ich jeden Morgen meine Hände daran.« Er blickte verlegen zu Boden und lächelte. »Ich weiß, das klingt ein bisschen blöde...«
    »Nein, überhaupt nicht«, widersprach sie. »Ich mag solche Marotten. Als Glasmalerin habe ich selbst ein paar davon. Zum Beispiel streichle ich das Glas, bevor ich es zusammensetze.«
    »Du streichelst es?«
    »Ja.«
    »Wie eine Haut? So wie ich dich jetzt streichle?« Er streichelte ihre Hände. Sie mochte es, von diesen Sandelholzhänden berührt zu werden.
    »Ja«, sagte sie, »so in etwa.«

    Er nutzte die schöne Stimmung zwischen ihnen nicht aus, um mehr zu bekommen als nur eine Berührung und lehnte sich mit verschränkten Armen gegen die Brüstung. »Als Junge bin ich immer hierhergekommen und habe dem Fluss tagelang zugesehen, seinem Rauschen zu meinen Füßen zugehört.« Seine Stimme kam ihr plötzlich verändert vor, nicht mehr so frivol wie am Abend zuvor, sondern ernsthafter, fast versonnen, zärtlich. »Ich habe mir oft gewünscht, mit ihm zu treiben, irgendwo angespült zu werden, Abenteuer zu erleben, Geschichten zu erfahren, die sich an diesem Fluss zugetragen haben, und mit ihm wieder weiterzugleiten an das nächste Ufer, zu den nächsten Abenteuern und

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