Die Huren des Apothekers
Flur, alle huschten zurück in die Betten und taten so, als
ob sie schliefen, damit sie nichts zum Tadeln fand. Am nächsten Tag
hieß es, Bärbel sei weggelaufen.«
»Und niemand suchte sie?«
»Nicht dass ich wüsste. Es wurde kein Wort
darüber verloren. Die Herrin war beleidigt und wollte nichts mehr
davon hören.« Auf den erzürnten Blick des Mannes fügte sie
schnell hinzu: »Und wir Frauen werden den ganzen Tag beschäftigt –
die Knechte bestrafen uns, wenn wir den Ort verlassen, wo wir
arbeiten sollen.«
Der Mann ließ die Schultern hängen und nagte an
seiner Unterlippe. »Aber wohin mag sie gegangen sein? Es gibt hier
auf einige Meilen keine Menschenseele! Sie wird sich im Wald
verlaufen haben.«
Elße zögerte, doch die Mutlosigkeit in den Augen
des Mannes ließ die Worte aus ihr herausfahren: »Eines der Mädchen
… Jonata sagte, sie habe gesehen, wie die Knechte Bärbel zurück
in den Anbau gebracht hätten.«
Er richtete sich auf und sah zum Haus. »Wo ist
das?«
»Es gibt einen Durchgang vom Herrenhaus und eine
Vordertür, die zum Laboratorium des Herrn führt. Beide Türen sind
mit großen Schlössern versperrt. Nur wenn eine der Frauen kreißt,
wird sie durch den oberen Flur in einen Raum mit dicken Mauern
geführt, den kein Fenster erhellt, damit kein Laut herausdringt.
Meist ist die Herrin dabei, nur selten eine Hebamme aus der Stadt.
Erst hinterher dürfen Mädchen hinein, die putzen. Die junge Mutter
kommt mit ihrem Neugeborenen heraus … oder …«
Sie deutete auf das von Büschen umgebene Gelände
hinter dem Anbau. Ihr Retter heftete seine Augen in die Richtung und
marschierte voran. Hastig wollte Elße fliehen, die Gelegenheit
wahrnehmen und schnell zurück in den Schlafsaal, bis sie sich die
Trostlosigkeit jenes muffigen Ortes ins Gedächtnis rief. Lieber
blieb sie noch eine Weile im Freien und genoss die frische Luft, auch
wenn das bedeutete, einen Mann zu begleiten, der ohne nachzudenken
einen anderen erschlug.
Vergeblich versuchte sie sich an Bärbel zu
erinnern, sie hatten keine drei Worte gewechselt. Ihr Amulett sah
Elße noch vor sich, aber nicht mehr ihr Gesicht. Rote Haare, so
lodernd wie ein Feuerbrand, kaum durch die Haube im Zaum zu halten,
das wusste sie noch. Bärbel war weit gewandert, um hierher zu
gelangen. Was hatte sie an sich, das einen solchen Mann dazu brachte,
ihr monatelang zu folgen? Er liebte sie? Und warum hatte er sie nicht
geheiratet, bevor … Oder erwartete sie gar nicht sein Kind? War es
ihr ähnlich gegangen wie Elße, war sie aus Scham geflohen, obwohl
ihr Mann danach weiter zu ihr stand, wie auch Elßes Mutter zu ihrer
Tochter gestanden hatte?
Beinahe rannte Elße in den Fremden hinein, so
abrupt blieb er stehen. Wie vom Schlag gerührt starrte er auf die
Lichtung. Ein Grabhügel neben dem anderen, einige kleine für
Neugeborene, größere für die Mütter, beulten die Erde aus. Kein
Stein mit dem Namen, nicht einmal ein Kreuz schmückte diesen
Totenacker. Selbst Blumen verbat die Herrin. Wer sollte auch hierfür
Blumen pflücken? Die Mädchen kannten sich kaum, durften nicht
miteinander reden und wussten oft nicht einmal, wessen Grab sie
aushoben.
»So viele«, murmelte der Mann.
Auch Elße blickte mulmig auf das Feld. Nur noch
wenige Tage – wartete auch auf sie ein namenloses Grab? Oder auf
ihr Kind? Unwillkürlich legte sie die Hände auf ihren Leib, suchte
die Bewegungen ihres Kindes und begann sich schon zu sorgen, als sie
ein leichtes Stupsen fühlte. Es ging ihm gut. Mit Sicherheit gebar
sie einen gesunden Jungen. Jedoch …
»Viele junge Mütter kommen in schlechtem
Zustand, sind abgemagert, verletzt, da ist die Anstrengung der Geburt
zu viel für sie«, wiederholte sie die Worte der Herrin. »Man muss
Gott danken für jedes neue Leben, das hier zur Welt kommt.«
»Ob Bärbel …«
Aufmerksamer ließ Elße ihren Blick über die
Hügel schweifen. »Nein. Seit einer Woche ist kein neues Grab
dazugekommen. Es hat geregnet, das Wasser hat die Erde geglättet und
weggeschwemmt. Ein frisches Grab müsste anders aussehen.«
Ein Lächeln erschien auf dem Gesicht des Mannes.
»Danke, du bist freundlich zu mir. Deine Worte trösten mich. Ob
jemand von den anderen Frauen weiß, wohin Bärbel gegangen ist?
Jonata? Oder gar Frau Mechthild?«
Die Hoffnung in seinen Augen ließ ein warmes
Gefühl in ihrem Herzen entstehen, als ob er sich um sie sorgte. Das
bedeutete, dass vielleicht auch ihr eine Zukunft bevorstand, nachdem
sie diese Bleibe
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