Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Huren des Apothekers

Die Huren des Apothekers

Titel: Die Huren des Apothekers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tatjana Stöckler
Vom Netzwerk:
frei, Henslin begann an den Füßen. Die Mumienbinden
ließen sie auf den Boden fallen. Die Apothekerin befreite einen
Finger nach dem anderen von ihren Hüllen, bis grün verfärbte
Kupferröhrchen zum Vorschein kamen, die wohl die Fingerspitzen
schützten. Diese legte sie sorgfältig zur Seite und machte weiter.
Auf einmal stieß sie einen triumphierenden Laut aus. Um das
Handgelenk der Mumie schlang sich eine Perlenkette. Hingerissenen
sprang sofort Henslin an ihre Seite und gemeinsam beugten sie sich
darüber.
    »Ich finde keinen Verschluss«, murmelte nach
einiger Zeit Mechthild.
    »Na und?«, antwortete ihr Henslin und mit einem
Krachen brach er die Hand der Mumie ab. Die Kette fiel von den
herausragenden Knochen herunter auf den Tisch.
    Mechthild kreischte auf. »Gib doch Acht! Die
Perlenschnur zerfällt zu Staub und glaube nicht, dass ich die Perlen
auffädeln werde!«
    Mürrisch zog Henslin sich ans Fußende zurück.
»Sind sowieso nur Tonperlen, die kauft dir niemand ab. Ein Pharao
soll das sein? Hat weniger Schmuck als ein Bauernweib!«
    Mit einem giftigen Seitenblick auf ihren Gemahl
wandte Mechthild sich von den Fingern ab und ließ ihre Hände über
den Brustkorb der Mumie gleiten. Bald rief sie triumphierend auf:
»Ha! Ich wusste es. Da steckt etwas.«
    Sie griff aus einem Kasten ein Messer und begann
ohne besondere Sorgfalt, die Binden auf der Brust zu zerschneiden.
Schließlich hielt sie etwas Winziges hoch. »Gold, bei der
verdorrten Seele deiner Mutter!«, zischte sie ihrem Gatten zu.
    Statt aufzufahren, wie es jeder aufrechte Bürger
als Pflicht gesehen hätte, tat er diese Bemerkung mit einem
Schulterzucken ab. »Das Pulver ist mehr wert als Gold. Je mehr ich
über die Geheimnisse der Mumienherstellung erfahre, desto weniger
Pharaonen werden wir zur Parfümierung des Pulvers brauchen. Salbei
ist ein Anfang. Ich werde für die nächste Lieferung fein
geriebenen, getrockneten Salbei untermischen.«
    »Salbei ist sowieso gesund«, erwiderte sie
beiläufig.
    »Ich habe auch etwas«, tönte Jergs Stimme.
    Luzia wandte ihren Kopf, bis sie sehen konnte, wie
er über die Brücke schritt. Etwas Taubeneigroßes baumelte von
seiner Faust. Gierig ließ Mechthild die Binden fallen und riss es
ihm aus der Hand. »Ein Amulett! Woher hast du es?«
    »Das war der Rothaarigen an einem Lederband in
ihren Haaren verschlungen. Ein Bernstein.«
    »Und ein wertvoller!« Mechthild hielt den
Anhänger in das Licht einer Lampe. »Mit einem Einschluss. Ein Tier
steckt drin – eine Ameise!«
    Kopfschüttelnd trat Henslin näher. »Wie kommt
eine Schlampe zu solch einem Kleinod? Dafür hätte sie sich bei
einer Hebamme einquartieren können.«
    Mechthild raffte es an sich und fingerte auch den
Anhänger der Mumie vom Tisch, um beides auf ein Bord in der nächsten
Nische zu legen. »Was geht’s dich an? Frohlocke, denn ich werde
als reiche Frau von meiner Reise wiederkehren. Jetzt gestatte, dass
ich mich zurückziehe, um vor meiner Abfahrt noch ein wenig Ruhe zu
genießen.«
    Sie hob die Röcke und rauschte davon. Jerg sah
ihr hinterher, dann scharrte er mit den Füßen. »Herr, ich werde
sie kutschieren müssen. Brauchst du mich heute noch?«
    Ein dumpfes Vibrieren ließ alles erzittern. Luzia
fasste erschrocken nach dem Steg im Inneren des Deckels, damit er
nicht von dem Mumienkasten fiel, bis sie erkannte, was sie hörte.
Die Turmuhr ihres Hauses schlug Mitternacht. Vier Stunden steckte sie
hier fest! Ob Lukas ihre Abwesenheit schon bemerkt hatte? Ob er sich
Sorgen machte und sie suchen ging?
    »Mitternacht«, bestätigte Henslin, nachdem der
Ton verklang. »Ottin wird morgen am Mörser arbeiten müssen, bis
ich einen neuen Mann eingearbeitet habe. Der Teufel hole Endres,
einfach so abzuhauen wegen eines Streits! Nein, geh nur, ich werde
mich auch bald zu Bett begeben.«
    Luzia atmete auf, als Jergs Schritte sich
entfernten. Jetzt musste sie nicht mehr lange ausharren.
    ---
    Die Gestalt strauchelte und wäre hilflos zu Boden
gefallen, wenn Frank nicht geistesgegenwärtig zugegriffen hätte.
Noch bevor er die eiskalten Arme umschloss, erkannte er die
Schwarzhaarige vom Vortag. Sie seufzte leise und sank zusammen. Hier
konnte er sie nicht lassen, also hob er sie auf seine Arme und trug
sie hinter das Haus, zum Brunnen, wo sie sich das erste Mal gesehen
hatten. So entkräftet war sie ihm gestern gar nicht erschienen, im
Gegenteil, er hatte einen robusten Eindruck von ihr bekommen. Was
mochte vorgefallen sein, dass sie jetzt

Weitere Kostenlose Bücher