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Die Huren des Apothekers

Die Huren des Apothekers

Titel: Die Huren des Apothekers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tatjana Stöckler
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dein Geheimnis ergründen, und mag es auch tausend Jahre
alt sein.« Er kicherte hämisch.
    Warum konnte er nicht einfach müde werden und ins
Bett gehen? Die Blase drückte Luzia übermächtig. Noch eine Seite
von Henslins Lektüre in diesem Zauberbuch und sie konnte ihr Wasser
nicht mehr halten, in diesem Mumienkasten unter sich lassen. Ein
Rinnsal gelber Brühe würde sich aus dem unteren Spalt auf den
festgetretenen Boden ergießen und seinen Weg suchen, bis er zwischen
den Beinen des Tisches hindurch an Henslins Schuhen vorbei im Teich
verschwand. Unvorstellbar, dass er es nicht bemerkte. Selbstredend
würde er die Tür des Kastens öffnen – und Luzia finden. Ihre
Blase schmerzte, als ob sie gleich platzte. Nein, kampflos ergab sie
sich nicht. Sowie er die Klappe berührte, würde sie mit
infernalischem Geheul daraus emporspringen, ihn auf den Tisch
schmettern und davonrennen. Wenn sie Glück hatte, brach er sich
dabei das Genick, wobei es ihr schon ausreichte, ihn einen Atemzug
lang benommen zu sehen.
    Und wenn er sich nicht übertölpeln ließ?
    Henslin dehnte die Schultern, streckte die Arme
mit verschränkten Fingern vor und ein nervenzermürbendes Knacken
ertönte. »So, meine Schöne«, sagte er und wandte sich der
Schwangeren zu, die so mucksmäuschenstill aushielt, dass Luzia sie
beinahe vergessen hatte. »Jetzt will ich mich um dich kümmern.«
    Warum ging er nicht einfach? Hatte er nicht
gegähnt? Luzia verlagerte vorsichtig ihr Gewicht und bemerkte, dass
ihr beide Beine eingeschlafen waren. Durch die erzwungene Bewegung
jagten Ameisen durch ihre Muskeln, schmerzhafte Bisse hinterlassend,
die Luzia zum Schreien bringen wollten.
    »Herr, bitte«, flüsterte die Gefesselte. »Herr,
habe ich nicht genug gelitten? Ich werde alles tun, was Ihr von mir
verlangt. Bitte, meine Arme tun mir so entsetzlich weh!« Luzia
vergaß ihre Füße. Wie musste die Ärmste dort leiden? Dagegen
quälten Luzia nur Nadelstiche.
    »Meine Hübsche«, sagte Henslin und trat näher
zu der Frau. »Mein Vater suchte sich auch immer nur die Niedlichsten
aus. Eine schöne Mutter wird auch ein schönes Kind haben, nicht
wahr? Was meinst du, wird dein Kind angenehm anzusehen sein?«
    Ein klägliches »Ja« kam von der Frau.
    »Dann wirst du dir wünschen, dass sein Dasein
einen Sinn hat, dass es nicht wie ein Tier dahinvegetieren wird,
jeden Brocken Nahrung aus dem Dreck klaubt und von seinem Nächsten
stiehlt, was der ihm auch mit Gewalt nicht geben will?«
    Was anderes als ein weiteres »Ja« sollte die
Ärmste erwidern?
    »Auch ich gedenke nicht, dein Kind zu einem
verkommenen Subjekt aufwachsen zu lassen. Hast du schon den Klatsch
gehört, den die alten Weiber über meine Herkunft verbreiten?«
    Nicht nur Luzia überraschte dieser plötzliche
Themenwechsel. Auch die Frau hob verblüfft ihr Gesicht, um hastig zu
nicken, als der Apotheker drohend zu der Rute griff, die er wohl
schon vor Stunden auf ihren Schenkeln ausprobiert hatte. »Nur
wenig«, beeilte sie sich zu versichern.
    »Dann sollte ich die Geschichte ausführlicher
berichten. Aus Gryeßheim bin ich gebürtig, einer wohlhabenden
Gemeinde, genau wie die Weiber tratschen. Dort baut man allerlei
Spezereien und Heilkräuter an, man lebt vom Tannenbrechen, gewinnt
Saatgut für die Fürsten, die ihre Wälder abholzen. All diese
Pflanzen und Sämereien verkauft man in die ganze Welt. Die
Marktfrauen fahren bis ins Engelland, um ihre Zwiebeln anzupreisen.
Solch eine war auch meine Mutter, deren Eltern es mit dem Gewerbe zu
bescheidenem Wohlstand gebracht hatten, sogar Pferd und Wagen für
die Auslieferung besaßen. Sie fuhr mit Petersilie, Lauch und
Bibernelle über Land, beeilte sich, um die Kräuter frisch zur
Residenz zu bringen. Daher schloss sie sich nicht einem Treck an,
sondern vertraute gutgläubig darauf, einem Kräuterweiblein würde
schon niemand etwas tun. Weit gefehlt! In einem Hohlweg sprang ein
Räuber aus dem Gebüsch und hielt ihr Pferd an. Vergeblich beteuerte
sie, nur Kräuter, kein Geld bei sich zu haben. Er nahm von ihr das,
was sie nur einmal geben konnte, und setzte dabei unstillbare
Sehnsucht in sie – und mich.«
    Henslin lachte dreckig, als ob er eine Heldentat
berichtete. Dabei hätte er doch angesichts seiner Herkunft besondere
Rücksucht nehmen müssen auf Frauen, die ähnliches wie seine Mutter
erlebt hatten! Luzia ballte die Fäuste angesichts solcher Ignoranz.
    »Flugs verheiratete mein Großvater sie mit dem
Dorftrottel und hieß sie schweigen

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