Die Hurenkönigin (German Edition)
die übliche Schar von Katzen, die sich gerne vor den Ställen tummelte, und auch kein Federvieh, das im Stroh scharrte – alles wirkte seltsam leblos und unbewohnt.
Ursel lief es kalt über den Nacken. Mit einem Mal hatte sie das ungute Gefühl, beobachtet zu werden, und wandte sich schnell um.
Hinter ihr stand die alte Magd mit dem Wassergefäß und beäugte sie misstrauisch. »Ihr seid aber neugierig!«, knarzte sie spöttisch und hielt Ursel den Becher hin.
Die Hurenkönigin nahm ihn mit zittrigen Händen entgegen und murmelte: »Ich hab mich nur mal umgeschaut. Was für ein prächtiges Anwesen.« Sie führte den Becher an die Lippen und trank. »Dank Euch«, sagte sie zu der Magd, die sie nicht aus den Augen ließ.
»Dann habe ich ja meine Christenpflicht erfüllt. Ich will Euch nicht länger aufhalten«, erklärte die Alte barsch und blickte Ursel, die noch immer auf der Bank saß, ungeduldig an. »Auf, auf, kommt in die Gänge! Bis nach Sachsenhausen ist es noch ein ordentlicher Marsch.«
»Ich möchte Euch noch gerne etwas fragen …«, begann die Hurenkönigin und begegnete den Argusaugen der Magd mit festem Blick.
»Was denn? Wollt Ihr jetzt auch noch eine warme Mahlzeit?«, fragte die Frau und verzog höhnisch das runzlige Gesicht.
»Ich bin keine Bettlerin!«, erwiderte Ursel scharf und drückte der Alten grob den Becher in die Hand. Hier habe ich ohnehin nichts mehr verloren, dachte sie, murmelte ein »Vergelts Gott!« und strebte zur Hoftür.
Die alte Magd eilte mit einem Schlüssel in der Hand hinter ihr her.
In einer Mauernische rechts vom Portal gewahrte Ursel eine steinerne Marienstatue, vor der eine Vase mit einem Strauß Rosen stand. Eilig bekreuzigte sie sich vor dem Standbild. Die Hausmagd tat es ihr gleich.
»Was wolltet Ihr mich denn fragen?«, erkundigte sie sich unversehens bei der Hurenkönigin. Diese blickte sie verwundert an. Die abweisenden Züge der Alten waren deutlich milder geworden.
»Ich suche eine Stellung als Näherin und Zugehfrau«, erklärte Ursel und zwang sich zu einem verbindlichen Lächeln. »Und da wollte ich Euch fragen, ob es nicht hier auf dem Riedhof eine Anstellung für mich gibt? Ich war jahrelang in Stellung bei einer wohlhabenden alten Dame, die überdies sehr fromm war. Meine Herrschaft ist leider verstorben, und da hatte ich gehofft, hier vielleicht unterzukommen … Zumal mir zu Ohren gekommen ist, dass der junge Freiherr sehr gottesfürchtig sei.« Die Hurenkönigin, der nicht entgangen war, dass sie einzig über die Frömmigkeit Zugang zu der Alten finden konnte, senkte demütig den Blick.
Die Magd war nun zugänglicher. »Das trifft zwar zu, trotzdem muss ich Euch enttäuschen. Wir stellen niemanden ein. Der junge Herr ist sehr menschenscheu, müsst Ihr wissen, und seit dem Tod seiner lieben Mutter, der Freifrau Agathe, lebt er hier ganz alleine und zurückgezogen. Der alte Diener Berthold und ich sind die einzigen Bediensteten, die er noch hat, sonst duldet er niemanden um sich.«
Ursel schluckte. »Das ist bedauerlich«, bemerkte sie mit einem betrübten Achselzucken. »Ich hatte mir solche Hoffnungen gemacht. Erst recht, weil Ihr ja vielleicht froh darüber wärt, wenn Euch jemand im Haushalt ein wenig unter die Arme greift.«
»Durchaus«, murmelte die Alte. »Ich werde nächstes Jahr siebzig, und da fällt einem die Arbeit nicht leichter. Aber ich will nicht klagen. Ich danke unserem Herrgott, dass ich noch arbeiten kann.«
»Gott mit Euch und danke für Eure Gastfreundschaft!« Ursel neigte höflich den Kopf und wandte sich zur Tür.
»Gottes Segen, Näherin – und nehmt es mir nicht übel, dass ich so schroff zu Euch war«, sagte die alte Frau begütigend. »Aber in letzter Zeit treibt sich hier draußen übles Gesindel herum. Vor ein paar Tagen erst stand so ein liederliches Frauenzimmer im gelben Hurengewand vor unserem Hof und hat mich ganz frech angeguckt, als ich rausgegangen bin. Deswegen bin ich momentan auch etwas auf der Hut …«
Ursel zog entrüstet die Brauen in die Höhe. »So was!«, äußerte sie empört. »Was hatte die denn hier draußen zu suchen?«
»Wer weiß? Geht vielleicht hier im Forst auf Kundenfang. Nebenan ist ja das Forsthaus, und da wohnen die ganzen Waldarbeiter«, erwiderte die Alte. »Ich bin nur froh, dass der junge Herr sie nicht gesehen hat! Den hätte der Schlag getroffen!«, ereiferte sich die Magd und fügte vertraulich hinzu: »Ihr müsst wissen, er führt ein Leben wie ein Mönch, und ihn
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