Die Hurenkönigin (German Edition)
einen sind die Jäger und die anderen die Beutetiere. Oder habt Ihr schon mal gehört, dass ein Lamm einen Wolf reißt oder ein Rehkitz einen Fuchs jagt?«
Die Hurenkönigin, die sich noch gut an ihre eigenen Worte Isolde gegenüber erinnern konnte, schwieg betroffen und verfiel ins Grübeln.
»Es soll aber auch schon vorgekommen sein, dass der Jäger zum Gejagten wird!«, stieß sie mit einem Mal hervor, trank ihr Bier aus und verabschiedete sich von Staudinger. In ihre dunklen Augen war ein eigentümlicher Glanz getreten, der dem Oberförster nicht verborgen geblieben war.
»Seht Euch vor, Zimmerin, dass Ihr nicht selbst zur Gejagten werdet«, murmelte er besorgt und begleitete die Hurenkönigin zum Gartentor.
Um die achte Stunde betrat Ursel die Gastwirtschaft »Zum kleinen Paradies« und entbot den Gästen, die in der Schankstube ihren Feierabendschoppen tranken, einen höflichen Gruß. Während sie noch zögerlich vor der Theke stand und ihre Blicke schweifen ließ, kam die Wirtin auf sie zu, packte sie herzhaft am Arm und zog sie mit zu einem der größeren Tische, um den sich ein Dutzend Männer und Frauen versammelt hatten. »Ziert Euch nicht, Offenbächerin, und gesellt Euch zu der fröhlichen Gesellschaft hier. Das macht man so bei uns in Sachsenhausen, da setzt man sich einfach dahin, wo Platz ist, und schwätzt, wie einem der Schnabel gewachsen ist«, erklärte die Matrone lachend und rückte ihrem Gast einen freien Stuhl hin. »Ihr macht euch miteinander bekannt«, sagte sie zu der Gruppe am Tisch und fragte die Zimmerin, was sie ihr bringen dürfe.
Ursel, die sah, dass die meisten Leute Wein tranken, bestellte sich einen Schoppen Wein und einen sauren Hering mit Brot. Als sie den Becher vor sich stehen hatte, hob sie ihn und prostete der Tischgesellschaft zu.
»Ich bin die Zimmers Marie aus Offenbach«, erklärte Ursel. »Bin seit vier Jahren verwitwet und suche in Sachsenhausen eine Anstellung als Näherin.«
»Ach, e Offenbächern!«, knarzte ein älterer Mann mit gutwilligem Spott und stellte sich als der Fischer Georg Möckel vor. Nach und nach machten sich auch die restlichen Gäste mit der Hurenkönigin bekannt. Es waren zwei Winzer, ein Schneider und zwei Lohgerber mit ihren Frauen und zwei ledige Wäscherinnen mit einer befreundeten Scheuermagd, die alle aus Sachsenhausen stammten und sich untereinander kannten.
»Da werdet Ihr es als Näherin nicht so leicht haben, eine Stelle zu finden«, richtete der schmächtige Schneider das Wort an Ursel. »Die paar Schneider, die’s hier gibt, sind alle zu arm, um noch jemanden einstellen zu können. Und wenn’s Arbeit gibt, die schnell erledigt werden muss, muss die ganze Familie mithelfen. Bei uns daheim können schon die kleinen Kinder mit Nadel und Faden umgehen.«
»Das kenne ich«, entgegnete Ursel. »Ich komme aus dem Vogelsberg, und mein Vater war auch Schneider. Wir waren daheim acht Kinder und haben alle schon nähen gelernt, ehe wir laufen konnten.«
»Na, dann wisst Ihr ja Bescheid«, sagte der Schneider. »Die Sachsenhäuser sind alles arme Leute, genauso wie die Offenbächer. Nur unseren Rittersleuten geht’s gut.«
»Das kann ich mir denken!«, erwiderte Ursel und trank ihren Becher leer. Als sie sich noch einen weiteren bestellen wollte, hielt sie die Scheuermagd, die an ihrer Seite saß, zurück und schenkte ihr Wein aus dem großen Krug nach, der in der Mitte des Tisches stand. »Nehmt erst mal hiervon«, erklärte die junge Frau mit den vorstehenden Zähnen freundlich. »Wir legen immer zusammen und bestellen uns gleich einen Großen, dann kostet es nicht so viel.«
Ursel bedankte sich. »Gute Idee«, bemerkte sie. »Dann kann ich mich ja gleich beteiligen.« Sie entnahm ihrem Brustbeutel ein paar Kupfermünzen und legte sie auf die Tischplatte.
»Dank Euch, Offenbächerin, aber das ist viel zu viel«, erklärte der Schneider mit Blick auf die Münzen. »Für das, was Ihr hier auf den Tisch legt, könnten wir ja zwei Krüge kriegen …«
Die Zimmerin winkte lächelnd ab. »Das ist schon recht so.« Sie bestellte einen Krug auf ihre Rechnung.
»Wie sind sie denn so, eure Sachsenhäuser Rittersfamilien?«, wollte die Hurenkönigin nun wissen. »Denn ehrlich gesagt hatte ich gehofft, an einem der herrschaftlichen Höfe eine Anstellung zu finden.«
»Das könnt Ihr schon versuchen, die Herrschaften brauchen immer mal eine Näherin«, meldete sich eine der Wäscherinnen zu Wort. Sie war noch sehr jung und hatte ein
Weitere Kostenlose Bücher