Die Hurenkönigin (German Edition)
mit der weißen Haube und dem graublauen Gewand kaum eines Blickes.
Wenngleich sie auch noch etwas schwach auf den Beinen war und die Ahnung sie begleitete, dass ihre Mission keineswegs leicht sein würde, fühlte sich die Hurenkönigin in diesem Moment doch wundersam gestärkt. Sie hatte das Gefühl, das Richtige zu tun.
Um die elfte Stunde betrat Ursel Zimmer die Schankstube der Gastwirtschaft und Fremdenherberge »Zum kleinen Paradies« in der Sachsenhäuser Paradiesgasse und erkundigte sich bei den Wirtsleuten, ob sie bei ihnen eine einfache Kammer mieten könne.
»Eine Dachkammer ist noch frei«, erwiderte die Frau mit dem breiten rotwangigen Gesicht, die etwa in Ursels Alter war, und wollte wissen, wie lange sie zu bleiben gedenke.
»Ein paar Tage werden es schon sein«, sagte die Hurenkönigin, »genau weiß ich es noch nicht. Ich bin aus Offenbach und suche hier in Sachsenhausen eine Anstellung als Näherin.«
Die Wirtin nickte verständnisvoll. »Gut, dann kommt mit, ich zeige Euch Eure Kammer«, forderte sie Ursel auf und ging voran. Ursel schulterte ihr Felleisen und folgte ihr eine steile Treppe hinauf, deren wurmstichige, abgetretene Stufen scheinbar endlos nach oben führten. Irgendwann blieb die Wirtin stehen, sperrte eine schmale Brettertür auf und ließ Ursel eintreten.
In der winzigen Dachkammer, an deren Schrägseite sich eine kleine Fensterluke befand, gab es außer einem Tisch mit einem Hocker und einem Strohsack auf dem Boden, über den eine braune Wolldecke gebreitet war, kein Mobiliar.
»Die Kammer ist einfach, aber billig. Für fünf Groschen am Tag könnt Ihr sie mieten. Wenn Ihr länger als drei Tage bleibt, berechne ich Euch nur noch drei Groschen«, erklärte die Wirtin lächelnd. Die Hurenkönigin erklärte sich sogleich einverstanden.
»Das ist mir recht so«, sagte sie. »Ich bin nämlich verwitwet und muss mein Geld zusammenhalten. Große Ansprüche stelle ich ohnehin nicht.« Sie nestelte ein paar Münzen aus ihrem Brustbeutel und reichte sie der Gastwirtin mit der Bemerkung, dass sie das Zimmer zunächst für drei Tage nehme. »Falls ich bis dahin eine Stellung gefunden habe«, fügte sie hinzu und runzelte die Stirn.
»Da wird sich schon was finden«, ermunterte sie die Wirtin. »Und wenn Ihr Hunger habt und einen Schoppen Wein trinken wollt, dann kommt runter in die Gaststube. Sauren Hering mit Rahm und Bohnen mit Speck haben wir immer da«, erklärte sie und wandte sich zum Gehen.
Nachdem sie ihr Felleisen in der Ecke verstaut hatte, öffnete Ursel die Dachluke, um frische Luft hereinzulassen. In der Kammer war es so stickig, dass der Zimmerin die Schweißperlen auf die Stirn getreten waren. Sie ließ sich auf den Hocker sinken, lockerte das Kinnband der Haube und starrte für geraume Zeit einfach nur gedankenversunken auf das kleine Stückchen Himmel, das hinter der Luke zu sehen war.
Einmal mehr musste sie an die Worte des Oberförsters denken, der seinen Nachbarn als verstockten Frömmler beschrieben hatte: Der betet lieber den Rosenkranz, als dass er sich mit Weibsleuten abgibt!
Schon damals hatte sie bei seinen abschätzigen Bemerkungen an den adeligen Weiberknecht denken müssen, den Isolde erwähnt hatte. Darum beschloss sie jetzt kurzerhand, einen Spaziergang zum Riedhof zu machen. Vor ihrem geistigen Auge sah sie wieder die alte Hausmagd, die sich bei ihrem Anblick bekreuzigt hatte. In meinem neuen taubenblauen Arbeitsgewand werde ich vor ihren strengen Blicken vielleicht eher Gnade finden, überlegte die Zimmerin und sann bereits darüber nach, unter welchem Vorwand sie sich Zugang zum Gutshof des Freiherrn von Stockheim verschaffen könnte. Auch dem Oberförster würde sie gerne noch ein paar Fragen stellen …
Entschlossen band Ursel die gelockerten Bänder ihrer Haube zu einer Schleife zusammen und erhob sich. Sie verschloss die Stubentür und stieg vorsichtig die steile Treppe hinunter. Auf dem Weg durch die Gaststube winkte sie den Wirtsleuten zu und erklärte, sie wolle einen kleinen Rundgang unternehmen.
»Ach, Ihr wollt bestimmt die Hinrichtung nicht versäumen«, antwortete die Wirtin munter. »Da müsst Ihr Euch aber beeilen, dass Ihr noch einen Platz kriegt, von dem Ihr halbwegs was sehen könnt. Die ganze Brücke ist voller Leute. Vorne am Gickelkreuz, wo die Mörderin ersäuft werden soll, ist schon kein Durchkommen mehr.« Als sie Ursels befremdeten Blick gewahrte, sagte die Matrone erstaunt: »Ach, das wisst Ihr gar nicht, dass wir um
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