Die Hurenkönigin (German Edition)
Schlitzen.
»Wo denkt Ihr hin, Zimmerin! Wie käme ich dazu, es billigend in Kauf zu nehmen, dass man einer freien Tochter unserer Stadt so etwas antut?«, schnappte der Angesprochene empört. »Ich wollte damit lediglich zu bedenken geben, dass der Täter möglicherweise in diesem Sinne gehandelt hat.«
»Das sieht ganz danach aus«, stimmte ihm Doktor Schütz zu. »Das Wort ›Lues‹, das ihr auf die Stirn geritzt wurde, weist auch auf Bestrafung und Rache hin. Es erscheint in diesem Zusammenhang wie ein Stigma …«
»Ein Hurenstigma«, murmelte die Zimmerin. »Auch das gehört zu den zahlreichen Schandstrafen, die Huren zugefügt werden. Man kettet sie an den Pranger, brennt ihnen ein schandbares Zeichen auf die Stirn oder spannt sie vor den Eselskarren«, sagte sie bitter. »Der menschlichen Niedertracht sind dabei keine Grenzen gesetzt.«
Kurz herrschte betroffenes Schweigen im Bahrhaus.
»In jedem Fall sollte man die Tote daraufhin untersuchen, ob sie tatsächlich an der Lues erkrankt war«, warf der bärtige Doktor Schwind mit einem Blick auf den Kollegen Schütz ein.
»Unbedingt, Herr Kollege. Zumal sich in letzter Zeit derartige Krankheitsfälle ja häufen«, erwiderte dieser gepresst. Dann fügte er eilig hinzu: »Bei der letzten Kontrolluntersuchung, die ich vor zwei Wochen im Frauenhaus durchgeführt habe, wies die Tote allerdings noch keine Symptome auf. Ich hatte ohnehin vorgesehen, diese Untersuchung im Anschluss an die Leichenschau vorzunehmen, und möchte Euch höflich darum bitten, werte Kollegae, mir dabei zu assistieren, denn das dürfte nicht ganz einfach werden. Wir müssen dabei nämlich zwischen zugefügten Verletzungen und Krankheitssymptomen wie Exanthemen und Knötchen unterscheiden. Wenden wir uns zunächst aber dem Corpus zu. Im Brust- und im Lendenbereich befinden sich insgesamt achtundzwanzig Verletzungen. Es handelt sich dabei durchweg um unterschiedlich große Brandwunden, die der Toten mit einem glühenden Gegenstand bei lebendigem Leibe zugefügt wurden. Die bestialische Tat eines Folterknechts«, bemerkte er und sah die Zimmerin, die ein unterdrücktes Wimmern von sich gab, mitfühlend an. »Die Wundmale und Abschürfungen an den Handgelenken der Toten legen die Vermutung nahe, dass man ihr Handfesseln angelegt hat. – Wir werden sie jetzt umdrehen. Könntet Ihr mir bitte behilflich sein?« Doktor Schütz wandte sich an die beiden Ärzte, die sogleich ihre Ärmel hochkrempelten, um gemeinsam den Leichnam anzuheben und auf die andere Seite zu drehen.
Als Ursel die blutigen Striemen und Hautfetzen gewahrte, die sich über Rosis Rücken zogen, stöhnte sie laut auf. »Gott im Himmel, was für eine Bestie!«, murmelte sie entsetzt.
»Da mögt Ihr recht haben, Zimmerin«, stimmte ihr Doktor Schütz zu und seufzte. Seine Miene verriet, dass ihm die Folterspuren am Körper der toten Hübscherin bei aller Routine doch erheblich zusetzten. »Sie wurde ausgepeitscht. Den Hautfetzen nach zu urteilen wahrscheinlich mit einer Geißel, deren Enden mit Metallspitzen versehen waren.«
Dann wandte sich Doktor Schütz wieder an die Umstehenden: »Ich würde vorschlagen, dass wir nun eine kurze Pause einlegen und an die frische Luft gehen, ehe wir die Tote auf die Symptome der Lues venereus untersuchen.« Er bedeckte die Leiche wieder mit dem Leinentuch. Die Anwesenden, froh darüber, die Totenkapelle mit dem penetranten Leichengeruch verlassen zu können, erklärten sich mit dem Vorschlag des Arztes einverstanden.
Nach kurzem Zögern ging die Hurenkönigin auf Doktor Schütz zu und bat ihn mit brüchiger Stimme um etwas Theriak. Der Arzt blickte sie erstaunt an, war ihm doch die Abneigung seiner Patientin gegen Medikamente hinlänglich bekannt. Dennoch entnahm er beim Anblick von Ursels fahlem Gesicht seinem Felleisen das Fläschchen. »Bedient Euch ruhig selber, Zimmerin. Ich denke, Ihr könnt es fürwahr gebrauchen«, bemerkte er. »Mehr als zehn Tropfen solltet Ihr allerdings nicht nehmen, sonst schlaft Ihr ein.«
Ursels Hände zitterten, als sie den Theriak entgegennahm.
»Soll ich helfen?«, fragte der Doktor.
»Danke, es geht schon«, erwiderte die Hurenkönigin und träufelte sich etwas davon auf die Zunge. Das Zittern, das ihren Körper erfasst hatte, ließ nach, und sie folgte Doktor Schütz auf wackligen Beinen nach draußen.
Nachdem die Leiche in eine entsprechende Position gebracht worden war, untersuchten die drei Stadtärzte den Schambereich der Toten.
»Kein
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