Die Hurenkönigin (German Edition)
sich halten.
»Was hat man dir nur angetan!«, schluchzte sie auf und sank ohnmächtig in sich zusammen.
Als Ursel die Augen aufschlug, fand sie sich auf einer Friedhofsbank wieder, die im Schatten einer mächtigen Linde stand. Doktor Schütz fächelte ihr Luft zu. Neben der Hurenkönigin saß Josef, der aussah wie ein Geist, und schlagartig sah sie es wieder vor sich, das schrecklich entstellte Gesicht von Rosi. Ein Stöhnen entrang sich ihr.
»Ruhig Blut, Zimmerin, und tief durchatmen«, vernahm sie die besänftigende Stimme des Arztes. »Hier, nehmt einen Schluck. Zuweilen kann ein Quäntchen Branntwein eine treffliche Medizin sein.« Er hielt ihr eine kleine Branntweinflasche hin, Ursel führte sie zum Mund und trank. Sofort breitete sich eine wohltuende Wärme in ihrem Bauch aus. Doktor Schütz reichte die Flasche an den Frauenhausknecht weiter.
»Auch wenn ich Euch gern noch ein wenig schonen würde, so muss ich jetzt dennoch die Frage stellen: Gehe ich recht in der Annahme, dass es sich bei der Toten um die vermisste Hure handelt? Ich meine, habt Ihr sie erkannt?« Der Stadtphysicus blickte die Hurenkönigin und den Frauenhausknecht fragend an.
Die Zimmerin ging kurz in sich, sie wollte keine falschen Angaben machen. Als der Doktor das Laken angehoben hatte, hatte sie noch inständig gehofft, dass es sich bei dem bedauernswerten Geschöpf auf der Totenbahre um eine andere Frau handelte. Doch in dem herzförmigen Gesicht mit dem runden Kinn und den Vertiefungen auf den Wangen hatte sie eindeutig Rosi erkannt. Auch wenn es absurd anmutete, so hatte sie doch in diesem schrecklichen Moment vor ihrem geistigen Auge ihr Lächeln gesehen, mit diesen hinreißenden Grübchen, das für Rosi so charakteristisch war. Der Schmerz über das schreckliche Ende der beliebten Hübscherin hatte sie bis ins Mark erschüttert. Die Zimmerin wurde erneut von einer Woge der Traurigkeit erfasst und stammelte unter Tränen: »Ja, ja, das war die Rosi …«
Auch Josef, dessen Antlitz einen grünlichen Farbton angenommen hatte und der schon einige Zeit nur noch schweigend vor sich hin starrte, nickte.
»Ja, das war sie«, sagte er mit rauer Stimme, barg das Gesicht in den Händen und begann haltlos zu schluchzen.
»Den Kerl bring ich um, der wo der Rosi das angetan hat!«, stieß er dann hervor und schlug mit der Faust auf die Bank.
Der Gefühlsausbruch des Hünen rüttelte Ursel wach. »Ich will alles wissen, was mit dem Mord an Rosi zusammenhängt. Jede kleine Einzelheit – und wenn sie noch so schrecklich ist!«, erklärte sie mit fester Stimme. In ihre dunklen Augen war ein fiebriger Glanz getreten. Dann wollte sie von Doktor Schütz wissen: »Ihr habt sie doch schon visitiert, was ist Euch da alles aufgefallen?«
»Nun, ich habe lediglich eine vorläufige Visitierung vorgenommen«, antwortete der Arzt widerstrebend. »Die offizielle Leichenschau, die im Beisein eines Untersuchungsrichters und zweier Berufskollegen stattfinden wird, ist erst für die Mittagszeit anberaumt.«
»Gut, dann werde ich daran teilnehmen«, erklärte die Zimmerin entschieden.
Der Medicus schluckte und schüttelte entrüstet den Kopf. »Ihr seid doch eben schon ohnmächtig geworden, als Ihr nur den Kopf gesehen habt. Warum wollt Ihr Euch das zumuten?«
»Weil ich es der Rosi schuldig bin!«, schleuderte ihm die Zimmerin ins Gesicht und funkelte ihn mit solcher Entschlossenheit an, dass der Stadtphysicus schließlich klein beigab. Resigniert seufzte er: »Na gut, wenn Ihr unbedingt wieder in Ohnmacht fallen wollt …«
»Ich werde das durchstehen«, erwiderte Ursel knapp, und ihre Gedanken wanderten wieder zu Rosi.
»Was ist das eigentlich für ein Wort auf ihrer Stirn?«, erkundigte sie sich bei dem Medicus, dessen Miene sich sogleich verdüsterte.
»Es handelt sich um das Wort ›Lues‹«, erwiderte er mit belegter Stimme. »Das ist die lateinische Bezeichnung für Lustseuche.«
Um sich vor dem Verwesungsgeruch zu schützen, der von der Leiche ausging, öffnete Doktor Schütz einen Tiegel mit Kampfersalbe und tupfte sich etwas davon unter die Nase, ehe er das Gefäß in der Runde weiterreichte. Nachdem die anderen Anwesenden – die beiden Stadtärzte Doktor Goy und Doktor Schwind sowie der städtische Untersuchungsrichter Lederer und die Gildemeisterin Ursel Zimmer – es ihm gleichgetan hatten, erklärte Schütz die Leichenschau für eröffnet.
»Wie sich anhand der Leichenflecken an Torso und Gliedmaßen erkennen lässt, hat der
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