Die Hurenkönigin (German Edition)
Befund«, verkündete Doktor Schütz angespannt.
»Das hat nichts zu sagen, werter Herr Kollege«, wandte Doktor Schwind ein und hob argwöhnisch die Brauen. »Die für die Lues venereus typischen verhärteten Geschwüre an der Vulva oder am Penis treten lediglich im Primärstadium auf. Nach vier bis sechs Wochen heilen sie ab, weshalb die Erkrankung auch oft nicht erkannt wird.«
»Dann hätte ich ja bei meinen früheren Untersuchungen einen solchen Ulcus durum an der Verstorbenen bemerken müssen«, entgegnete Doktor Schütz mit einem Anflug von Ärger. »Allein, dem war nicht so! Oder wollt Ihr mir etwa unterstellen, ich hätte es an der nötigen Sorgfalt mangeln lassen?«
»Keineswegs, Herr Kollege. Die Seuche lässt sich nur recht schwer diagnostizieren, wenn man von den auffälligen Geschwüren im Primärstadium einmal absieht, und eins darf man nicht vergessen: Wir verfügen nicht gerade über eine reichhaltige Erfahrung, was das Krankheitsbild anbetrifft. Immerhin haben wir in Frankfurt ja erst seit jüngster Zeit den Ausbruch der Geschlechtspest zu verzeichnen. Und die meisten Seuchenopfer, die wir untersucht haben, befanden sich noch im Primärstadium der Lues …«
»Das trifft zwar zu, mein lieber Schwind«, mischte sich nun auch Doktor Goy mit gewichtiger Stimme ein. »Aber auch wenn es der Frankfurter Ärzteschaft – und Euch mit einbegriffen – noch an diesbezüglichen Erfahrungen mangelt, so gibt es doch inzwischen mehrere Abhandlungen verdienter Kollegen über den Morbus gallicum , wie die Krankheit in weiten Kreisen der medizinischen Wissenschaft bezeichnet wird. Ich kann Euch nur das herausragende Werk des von mir überaus geschätzten Kollegen Bartholomäus Steber ans Herz legen …«
»Kollegae, ich muss doch sehr bitten! Wir befinden uns hier bei einer Leichenschau und nicht im medizinischen Kolloquium«, unterbrach ihn Doktor Schütz ungehalten. »In Anbetracht der akuten Seuchengefahr, die unsere Heimatstadt bedroht, sollten wir doch inzwischen alle unsere Lektionen gelernt haben. Nach den Geschwüren an den Geschlechtsteilen, die in der Primärphase auftreten, schwellen etwa acht Wochen nach der Ansteckung die Lymphknoten am ganzen Körper an. Nach zehn Wochen erscheint bei den meisten Erkrankten ein Hautausschlag. Am Anfang sind es noch rosa Flecken, die sich aber rasch in kupferfarbene Papeln verwandeln und bevorzugt in Hautfalten auftreten«, dozierte er. »Und genau darauf sollten wir jetzt unser Augenmerk richten.« Mit besorgter Miene strich er über die Innenseite der Oberschenkel, wo hellrote Verfärbungen zu sehen waren. Der Doktor schluckte und murmelte wie zu sich selbst: »Das sieht nicht gut aus …«
Ursel presste sich bestürzt die Hand auf den Mund.
Sorgfältig tastete der Medicus daraufhin den Hals und die Leistengegend der Toten ab. »Geschwollen wie Taubeneier. Kein gutes Zeichen«, grummelte er und begutachtete die Armbeugen der Toten, in denen ebenfalls rosafarbene Male zu sehen waren.
Doktor Schütz richtete sich auf, wischte sich die Schweißperlen von der Stirn und konstatierte in unheilvollem Tonfall: »Wir müssen leider davon ausgehen, dass es sich hier bereits um das Sekundärstadium der Lues handelt …«
Wie von Hunden gehetzt, hatte die Hurenkönigin den Heimweg zum Frauenhaus angetreten und sich dabei die Begleitung von Doktor Schütz verbeten. Als sie den Aufenthaltsraum betrat, waren die Huren allesamt in Tränen aufgelöst. Der Frauenhausknecht Josef hatte ihnen nach der Identifizierung vom Tod ihrer Gildeschwester erzählt. Ihre Stellvertreterin Ingrid wollte ihr gerade schluchzend um den Hals fallen, doch Ursel schleuderte ihr nur entgegen: »Ich will meine Ruhe haben und niemanden mehr sehen!«
Sie wollte sich schon in ihre Kammer zurückziehen, als die schlaue Grid ihr nachging und sie sachte am Arm fasste. »Komm, Ursel, bleib doch bei uns!«, bat sie.
Doch die Hurenkönigin riss sich los und zischte ihr ins Gesicht: »Ich habe gesagt: Niemanden! Hast du kapiert?« Unter den verstörten Blicken der Huren hastete Ursel die Treppe hinauf und verschwand in ihrem Zimmer, wo sie die Tür von innen verriegelte. Hektisch nestelte sie die braune Glasphiole unter ihrem Mieder hervor, die sie unterwegs bei einem Apotheker in der Braubachgasse erstanden hatte, und entkorkte sie.
Nur noch weg!, gellte es in ihrem Kopf, und sie schüttete sich gierig den halben Flascheninhalt in den Rachen. Während ihr die bittere Flüssigkeit die Kehle
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