Die Hurenkönigin (German Edition)
in das erhabene Antlitz der Gottesmutter. Und da sah er es endlich – das milde Lächeln auf den Zügen der Gnadenreichen und die gütigen Augen, die auf ihn herabblickten. Vor Ergriffenheit strömten ihm die Tränen über die Wangen, und er wusste, die Unbefleckte würde ihn jetzt anhören.
»Heilige Jungfrau«, schluchzte er. »Ich habe schwere Schuld auf mich geladen!«
»Du hast nur getan, was dir aufgetragen wurde«, erwiderte die Himmelskönigin nachsichtig.
»Aber ich habe getötet!«
»Du hast die Welt von der Sünde befreit. Zertritt sie unter deinen Stiefeln, die Schlange, in meinem Namen!« Die Stimme der Erhabenen bebte in heiligem Zorn.
»Aber … ich habe es nicht nur für Euch getan«, stammelte der Jüngling. »Es hat mir … Lust bereitet …«
»Das ist in der Tat eine schwere Sünde.« Das Antlitz der Himmelskönigin verfinsterte sich.
»Lasst Gnade mit mir walten, o Mutter aller Schmerzen«, wimmerte der Betende und schlug sich auf die Brust.
»Tu Buße und bring mir ein Opfer!«
»Noch eines?« Er blickte angstvoll zu ihr auf.
»Du weißt, was zu tun ist!«, beschied sie ihn streng und senkte die wächsernen Lider.
»Ja, Herrin«, flüsterte er und bekreuzigte sich vor der Madonnenstatue. Er wusste, dass die Audienz beendet war.
Ein heftiges Klopfen ertönte, das einfach nicht enden wollte. »Ursel, mach bitte auf«, vernahm die Hurenkönigin aus weiter Ferne Bernhards Stimme. Unwillig richtete sie sich auf, griff nach dem Theriakfläschchen, das auf dem Holztisch neben dem Bett stand, und führte es zum Mund. Schnell wieder abtauchen!
Doch das Poltern ging weiter. »Ursel, was ist mit dir? Ich mache mir die schlimmsten Sorgen. Mach bitte die Tür auf!«, hallte es von draußen.
»Lass mich in Ruhe!«, stieß die Zimmerin hervor und zog sich die Decke über den Kopf. Sie versank erneut, glitt immer tiefer in den schwarzen, bodenlosen Ozean, der sie mit einer friedvollen Leere erfüllte, abgeschirmt von der Außenwelt wie durch eine meterdicke Eisscholle.
Im nächsten Moment hörte sie ein lautes Krachen, der Panzer zerbarst in tausend Teile, etwas erfasste sie und zog sie unerbittlich nach oben …
»Was machst du denn für Sachen?« Bernhard hatte sie in die Arme genommen und bettete ihren Kopf an seiner Brust. Ursel hob die verquollenen Lider, verdrehte kurz die Augen mit den stechenden Pupillen und stöhnte: »Lass mich schlafen!« Schon sank sie wieder in tiefen Schlaf.
»Es hat keinen Sinn, die wirst du nicht wach kriegen«, bemerkte Ingrid, die ans Bett getreten war, und warf einen finsteren Blick auf den Theriak. »Gerade noch ein Schlückchen hat sie dringelassen … Das reicht aus, um ein Ross einzuschläfern.« Sie runzelte besorgt die Stirn. »Wie in alten Zeiten. Genau, was ich befürchtet habe.«
»Sollten wir nicht den Doktor rufen?«, fragte Bernhard bekümmert. »Nicht, dass sie uns am Ende … gar nicht mehr aufwacht.«
»Den müssen wir nicht rufen, denn der müsste gleich hier sein. Für heute Morgen um die neunte Stunde ist doch die Visitation angesetzt. Alle Huren sollen untersucht werden, weil Rosi an der Geschlechtspest erkrankt war …«
»Ich weiß«, bemerkte Bernhard. »Deswegen bin ich auch gleich hergekommen, nachdem ich vorhin davon gehört habe. Warum hast du mir denn nicht gestern schon Bescheid gegeben? Dann wäre es doch vielleicht gar nicht erst so weit gekommen«, sagte der Gelehrte vorwurfsvoll.
»Weil es mir so elend ging!«, murrte Ingrid. »Allen ging es schlecht, nachdem wir gehört hatten, wie entsetzlich Rosi zugerichtet war. Als die Ursel dann am Nachmittag zurückgekommen war, hab ich den Laden dichtgemacht und mir einen angetrunken, genau wie alle andern.« Die schlaue Grid massierte sich stöhnend die Schläfen. »Und dann auch noch diese verdammte Untersuchung. Ich habe ganz schön Angst davor, und die Hurenkönigin steckt einfach den Kopf in den Sand und pennt!« Die Lohnsetzerin ließ sich auf den Bettrand sinken und weinte. »Ich kann’s ja verstehen, dass sie nach dieser Leichenschau die Nase voll hatte, aber sie wollte ja unbedingt dabei sein! Das kann doch niemand verkraften, was man der Rosi angetan hat, und die Ursel musste sich das alles auch noch haarklein angucken! Und jetzt hängt sie wieder an der Theriakflasche …«, presste Ingrid hervor.
»Schrecklich«, murmelte Bernhard und starrte ins Leere, tiefe Sorgenfalten auf der Stirn. Er bettete den Kopf der schlafenden Hurenkönigin auf das Daunenkissen
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