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Die Hurenkönigin (German Edition)

Die Hurenkönigin (German Edition)

Titel: Die Hurenkönigin (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula Neeb
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hinunterrann, fühlte sie sich bereits so eigentümlich erquickt wie damals in jenen düsteren, weit zurückliegenden Tagen, als die Gier nach dem großen Vergessen noch ihr Leben bestimmt hatte.
    Mehr als zwei Jahrzehnte lang hatte sie sich regelmäßig die »Himmelsarznei«, wie der Theriak im Volksmund genannt wurde, im Apothekerviertel besorgt, um sich mit der opiumhaltigen Tinktur zu betäuben. Sie brauchte das Gebräu, damit sie ihr schändliches Gewerbe überhaupt ertragen konnte – den widerlichen Geruch der Freier, ihre abstoßende Geilheit, mit der sie ihren Körper und ihr Geschlecht besudelten, bis tief in ihr Innerstes hinein. Ihr Beruf hatte ihr die Seele geraubt, bis sie nicht mehr weinen konnte und auch ihr Lachen nur noch falsch und aufgesetzt war. Sie hatte den Männern ungerührt Leidenschaft vorgespielt, obgleich sie nichts anderes mehr fühlte als Leere und Ekel.
    Alle Huren kannten die Abgründe ihres Berufs und zahlten ihren Preis dafür. Viele schrubbten sich nach jedem Freier mit der Wurzelbürste ab, bis sie bluteten, übergossen sich mit Duftwässerchen, um den Geruch des Freiers loszuwerden, oder benebelten sich mit Alkohol. Ursel hatte sich für Theriak entschieden, weil sie sich eingebildet hatte, dadurch bliebe sie klarer und würde sich nicht um den Verstand saufen, so wie viele andere käufliche Frauen. Doch das war ein Trugschluss gewesen.
    Schon in jungen Jahren hatte sie das Opiat zu sich genommen, in mehr oder weniger kleinen Dosen, um durch den Tag zu kommen. Und nachts hatte sie es dann nehmen müssen, um überhaupt noch schlafen zu können. Es war ihr in Strömen durch die Kehle geflossen, mehr als die Hälfte ihres Hurenlohns war dafür draufgegangen. Gottlob hatte sie immer gut verdient, und das Allheilmittel war in jeder Apotheke wohlfeil erhältlich. Zwar warfen ihr die Apotheker hämische Blicke zu, wenn sie sich ihren Vorrat holte, aber keiner hatte je etwas gesagt. Schließlich bezahlte sie ja dafür, und nur darauf kam es an. Manchmal, wenn es ihr besonders schlechtging, hatte sie ihre Freundin Grid ins Apothekerviertel geschickt, damit sie ihr das Suchtmittel besorgte, und daher war Grid die Einzige im Frauenhaus, die von Ursels Theriaksucht wusste.
    Und dann natürlich Bernhard. Am Morgen nach der ersten Nacht mit ihm hatte sie all ihre Theriakvorräte in die Latrine gegossen und sich geschworen, keinen Tropfen mehr zu nehmen. Sie war so glücklich gewesen damals, dass sie sich nicht mehr zu betäuben brauchte, im Gegenteil: Das kostbare Geschenk der Liebe wollte sie bewusst genießen. Dennoch hatte es mehrere Monate gedauert, bis das Gift aus ihrem Körper und aus ihren Sinnen war. Und jetzt, nach einer so langen Zeit der Enthaltsamkeit, hatte es sie unversehens wieder am Wickel. Sie wollte nur noch weg sein, so wie früher – und vergessen. Vor allem den Anblick von Rosis gemartertem Körper, der mehr war, als sie verkraften konnte.
    »Du hast die Hölle erlebt …«, flüsterte Ursel, während sie zusammengekrümmt auf ihrer Rosshaarmatratze lag, tränenlos und starr, weil alles Leben in ihr zum Stillstand gekommen war. Sie ließ sich in die große Leere sinken.

5
      Durch die spitzbogigen Fenster der kleinen Marienkapelle, die mit kunstvollen Bleiglasbildern aus dem Leben der Heiligen Jungfrau versehen waren, drang bereits das erste Morgenlicht und fiel auf den Betenden.
    Die ganze Nacht hatte er kniend vor dem Standbild der Himmelskönigin, das von einzigartiger Schönheit war, zugebracht und hatte Zwiesprache mit der Gottesmutter gehalten, wie er es seit Kindertagen zu tun pflegte. Doch sie hatte ihm noch immer nicht geantwortet.
    Wahrscheinlich waren seine Vergehen einfach zu schlimm. Doch er würde nicht aufhören, die Jungfrau um Gnade anzuflehen, und wenn er bis zum Jüngsten Gericht hier ausharren musste. Immer häufiger musste er gegen die bleierne Müdigkeit, die ihn zu übermannen drohte, ankämpfen und sich große Mühe geben, nicht in sich zusammenzusacken, sondern eine aufrechte Haltung zu bewahren. Ihm war plötzlich, als stünde sie hinter ihm, seine gestrenge Frau Mutter, und würde den gekrümmten Rücken des Knaben mit dem Rohrstock traktieren. »Halt dich gerade beim Beten, du Jammerlappen!«, vermeinte er ihre hohe, metallische Stimme zu vernehmen und musste unwillkürlich lächeln. »Ja, Mutter«, erwiderte er, straffte seine Schultern, hob den Kopf, der ihm auf die gefalteten Hände gesunken war, öffnete seine schweren Lider und blickte

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