Die Hurenkönigin (German Edition)
strömten die Tränen über die schmutzigen Wangen. »Ich kann es noch gar nicht fassen, dass ich endlich hier rauskomme! Dem Himmel sei Dank«, flüsterte sie.
Die Zimmerin stützte die Frau unter den Achseln, als diese mühevoll die ersten Sprossen der Leiter erklomm, und hielt sie mit ihrem Körper, damit sie nicht abrutschte. Gleich darauf wurde die Gefangene vom Henker gepackt und nach oben gezogen.
Als Ursel der nächsten Frau beim Hinaufklettern helfen wollte, stieß sie mit dem Fuß gegen etwas Hartes. Sie schrie auf, als sie gewahrte, dass es sich um einen Totenschädel handelte, der sie aus dem Stroh angrinste. Daneben lag ein schwarzes Holzkreuz. »Was ist denn das?«, fragte sie verstört.
»Von diesem Kram gibt es noch mehr«, erklärte ihr eine der Frauen und deutete auf verschiedene Gegenstände, die im fauligen Stroh verstreut lagen. Ursel erkannte eine hölzerne Christusstatue, ein Buch, eine Engelsbüste aus Bronze sowie einen Steinguttiegel mit einer weißlichen Paste darin. Dazwischen lagen die langen, abgesengten Haare der Frauen.
Ursel schluckte. »Was soll das alles?
»Das sind die Attribute der heiligen Maria Magdalena«, entgegnete die rundliche junge Frau mit den dunklen Haarbüscheln. »Genau wie sie sollen wir hier unten für unsere Sünden büßen, sagt Schwester Theodora.«
»Seid ihr etwa auch Huren?«, fragte die Zimmerin erstaunt.
»Wir sind Reiberinnen aus der Badestube. Das ist auch ein sündiges Gewerbe, zumindest in den Augen von Schwester Theodora. – Ach, wäre ich doch bloß nie hierhergekommen«, stöhnte sie und machte sich bereit, die Leiter zu erklimmen.
Die zehn Stangenknechte unter Leitung von Untersuchungsrichter Lederer hatten auf Bernhard von Wanebachs Empfehlung hin allesamt Fackeln dabei, und so war der Gewölbekeller des Klosters hell erleuchtet. Lederer gab einem seiner Polizeibüttel den Auftrag, Schwester Theodora zu bewachen, die immer noch bewusstlos auf dem Boden lag. Außerdem hatte er die Oberin, Schwester Adalbertis, aufgefordert, ihnen zu zeigen, wo sich der unterirdische Karzer befand.
Gramgebeugt schritt die alte Nonne den Schergen voran und murmelte immer wieder vor sich hin: »Davon habe ich nichts gewusst, wirklich nicht!«
»Von Euch könnte selbst ein Pontius Pilatus noch etwas lernen«, konnte sich Bernhard von Wanebach nicht verkneifen zu sagen.
Bernhard, Ursel und der Henker hielten sich dicht hinter der Nonne, als diese vor einer niedrigen Holztür stehen blieb, die mit einem Schloss verriegelt war. »Hier ist es«, erklärte sie mit brüchiger Stimme.
Ursel musste sich auf Bernhard stützen, weil ihr vor Aufregung die Knie schlotterten. In der Tür, die so niedrig war, dass man nur kriechend hindurchgelangen konnte, befand sich ein schmaler Sehschlitz, hinter dem tiefe Schwärze gähnte. Kein Laut war von drinnen zu vernehmen. Das Herz der Hurenkönigin pochte ihr bis zum Hals, als die Schergen mit Hilfe eines Schlüssels von Schwester Theodoras Schlüsselbund das Schloss entriegelten. »Ingrid …«, flüsterte sie und umklammerte krampfhaft Bernhards Arm.
Die Schergen öffneten die Luke und leuchteten in den engen Raum. Eine reglos kauernde Gestalt war auszumachen. Der Lichtkegel fiel auf das Gesicht der Kauernden, und Ursel erkannte sogleich die vertrauten Gesichtszüge der Freundin.
Die Hurenkönigin war nun nicht mehr zu halten, sie drängte die Büttel zur Seite. »Ingrid, was ist mit dir?«, schrie sie entsetzt. Auf den Knien liegend, streckte sie die Arme nach Ingrid aus, ergriff ihre Fußgelenke und zog sie behutsam aus dem Kerkerloch. Sie fühlt sich so kalt an!, dachte Ursel voller Panik. Ein Stoffknebel ragte weit aus Ingrids Mund, und als die Hurenkönigin die leblosen, weit aufgerissenen Augen gewahrte, die von unsäglicher Pein kündeten, und das schmerzverzerrte bläuliche Gesicht, in dem kein Leben mehr war, stieß sie einen gellenden Schrei aus. Schluchzend brach sie über dem Körper der toten Freundin zusammen.
Als Ursel einige Stunden später in einem Krankenbett des Heiliggeistspitals zu sich kam, fühlte sie sich schwach und kraftlos. Teilnahmslos ließ sie es über sich ergehen, dass Bernhard ihr über die Wange streichelte und sie zu trösten suchte. Doch weder seine Zärtlichkeit noch seine Worte drangen wirklich zu ihr durch, sie war untröstlich über Ingrids Tod, und das Leben war ihr eine einzige Last – selbst das Atmen fiel ihr schwer.
Auch als später der Bürgermeister an Ursels
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