Die Hurenkönigin (German Edition)
sehr eilig zu haben und hastete zum Klostergebäude, als wäre der Leibhaftige hinter ihr her. Ursel, Bernhard und der Henker, denen allesamt nichts Gutes schwante, folgten ihr mit schnellen Schritten.
»Wo ist unsere Lohnsetzerin denn?«, fragte die Zimmerin sorgenvoll die Oberin, die keuchend neben ihnen herlief und Mühe hatte, mit ihnen Schritt zu halten.
»Ich glaube, sie ist im Keller …«, stieß Schwester Adalbertis hervor und lehnte sich erschöpft gegen den Türrahmen des Hauptgebäudes.
»Im Keller?«, schrie die Hurenkönigin, und sie packte die alte Nonne am Arm. »Was habt Ihr mit Ingrid gemacht?«
»Ich habe damit nichts zu tun!«, stammelte die Oberin und hielt sich die Hände vors Gesicht. »Die Betreuung der gestrauchelten Frauen obliegt ausschließlich Schwester Theodora …«
Auch Bernhard von Wanebach und der Henker hatten den Ernst der Lage erfasst.
»Führt uns in den Keller, aber schnell!«, befahl Meister Jerg und stürmte durch die Eingangshalle.
»Ich kann nicht mehr!«, stöhnte die alte Nonne und wankte entkräftet zur Treppe, die in den ersten Stock führte. Atemlos klammerte sie sich am Geländer fest und murmelte: »Hinter der Treppe ist der Zugang zum Keller … Da ist eine Tür … Schwester Theodora hat den Schlüssel …«
Mit fliegenden Schritten stürzten Bernhard und der Henker, gefolgt von der Hurenkönigin, nach hinten. Nachdem sie eine Steintreppe hinuntergeeilt waren, standen sie vor einer Holztür, die verschlossen war. Ohne viel Aufhebens warf sich Meister Jerg mit seinem ganzen Gewicht dagegen, die Tür gab nach und sprang mit einem Krachen auf. Vor ihren Augen erstreckte sich ein weitläufiges Kellergewölbe, das von einer einzigen Wandfackel nur notdürftig beleuchtet wurde.
Modergeruch stieg Ursel in die Nase, und mit einem Mal gewahrte sie in dem flackernden Lichtschein einen Schatten, der in einiger Entfernung an der Wand entlanghuschte. Unwillkürlich entrang sich ihr ein Aufschrei. »Schwester Theodora! Dahinten ist sie …«
Auch die beiden Männer hatten die Gestalt bemerkt und stürzten auf die Nonne zu.
Von ihren Verfolgern eingekreist, stand Schwester Theodora an die Wand gedrängt da und wirkte wie erstarrt. Für einen Moment herrschte Stille, man vernahm nur ihre keuchenden Atemzüge. Mit einem Mal ergriff die Nonne das silberne Kreuz, das sie an einer Kette über ihrer Nonnentracht trug, und reckte es mit hocherhobenem Arm der Hurenkönigin entgegen. »Weiche von mir, Satan!«, schrie sie mehrmals wie von Sinnen.
Erst als der Henker ihr mit der flachen Hand ins Gesicht schlug, ebbten ihre Schreie ab. Schwester Theodoras Körper versteifte sich, und in ihren verhärteten Gesichtszügen zeigte sich überbordender Starrsinn.
Die Zimmerin trat einen Schritt auf sie zu und fragte mit eisiger Ruhe: »Wo ist meine Freundin?«
Die Nonne reagierte nicht, sie starrte ins Leere.
Ursel packte sie an den Schultern und schüttelte sie so heftig, dass Schwester Theodoras Haube verrutschte und ihr blondes Stoppelhaar zum Vorschein kam.
»Sag mir sofort, wo Ingrid ist, oder ich mache dich kalt!«, schrie die Zimmerin außer sich.
»Lieber sterbe ich, als dass ich dir eine unserer Büßerinnen preisgebe, du verfluchtes Hurenstück!«, zischte die Nonne und spie Ursel mitten ins Gesicht. Reflexartig ballte Ursel die Hand zur Faust und schlug mit voller Wucht zu. Durch den Hieb prallte Schwester Theodoras Kopf gegen die Steinmauer. Ein dumpfes Geräusch war zu vernehmen, und die Nonne sank ohnmächtig zu Boden.
Ursel war erschrocken über sich selbst. Es war das erste Mal, dass sie jemanden bewusstlos geschlagen hatte.
Doch der Henker, der ihr Erschrecken bemerkt hatte, sagte nur: »Macht Euch nichts draus, Zimmerin, die wird schon wieder. Jetzt müssen wir halt alleine rausfinden, wo sie die Lohnsetzerin eingesperrt hat.« Er sah sich um. An der Wandseite befanden sich mehrere Türen. Mit der Fackel aus der Wandhalterung ging er auf eine der Türen zu. Bernhard von Wanebach und Ursel folgten ihm.
»Ingrid! Wo bist du?«, rief die Hurenkönigin, so laut sie konnte, und lauschte, nachdem ihre Rufe in der Weite des Kellergewölbes verklungen waren, angespannt in die Dunkelheit.
Meister Jerg nahm gerade Anlauf, um die verschlossene Tür aufzubrechen, als Ursel plötzlich einen Laut vernahm. »Ruhig«, flüsterte sie und gebot dem Henker Einhalt. »Da ist etwas …«
Alle horchten mit angehaltenem Atem, und da war es wieder, das Geräusch. Es hörte
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