Die Hurenkönigin (German Edition)
gebadet und sich sorgfältig frisiert hatte, ging zielstrebig zu einem Verkaufsstand mit Textilien. Der bärtige Händler trug Augengläser, durch die er der Hurenkönigin freundlich entgegenblickte.
»Tretet näher, Hübscherin, und schaut, was ich alles habe!«, forderte er sie auf. Ursel bemerkte, dass ihn ein gelber Flicken am Ärmel seines schwarzen Kaftans als Juden kenntlich machte. Sie erstand einen aus grobem Leinen gefertigten blauen Leibrock mit langen Ärmeln und ein schlichtes, armfreies graues Oberkleid mit einem kleinen ovalen Ausschnitt, das unterhalb des Gürtels in reiche Falten fiel. Außerdem kaufte sie noch eine gestärkte weiße Leinenhaube mit Kinnband und ein Paar rehbraune Kuhmaulschuhe.
Der Jude bediente sie zuvorkommend und stellte keine lästigen Fragen. Zum Schluss schenkte er ihr sogar noch ein kleines Stück Honigseife und wünschte ihr einen guten Tag.
Auch Ursel entbot ihm einen respektvollen Gruß. Obgleich es sehr unterschiedliche Gründe waren, weswegen man sie verachtete, so herrschte doch zwischen der Hurenkönigin und dem jüdischen Händler eine stillschweigende Übereinkunft. Beide wurden von der Obrigkeit dazu gezwungen, die Farbe der Schändlichkeit zu tragen.
Ursel verstaute die Sachen in ihrem Korb und kehrte zum Frauenhaus zurück, wo sie sich gleich in ihr Zimmer begab.
Obwohl sie sich noch schwach und zittrig fühlte und es sie sehr nach einem Schluck Theriak gelüstete, verbot sich die Hurenkönigin streng, von der Himmelsarznei zu nehmen. Für das, was sie vorhatte, musste sie unbedingt einen klaren Kopf bewahren.
Ursel ließ sich auf dem Bettrand nieder, schnürte ihr Mieder auf und streifte es sich mitsamt dem tief ausgeschnittenen gelben Hurengewand über den Kopf. Nachdem sie sich noch des seidenen Unterkleids entledigt hatte, schlüpfte sie in den blauen Leibrock und zog das schlichte graue Oberkleid über. Dann begutachtete sie sich im Spiegel. Bei dem Anblick musste sie unwillkürlich grinsen, in dem weiten Gewand sah sie aus wie eine Vogelscheuche. Auch der kleine, züchtige Ausschnitt belustigte sie. Da werde ich auf meine alten Tage noch sittsam, mokierte sie sich in Gedanken. Sie kämmte sich die langen roten Haare und flocht sie zu zwei kräftigen Zöpfen, die sie sich um den Kopf legte und mit Hornkämmen befestigte. Kurzerhand stülpte sie sich noch die weiße Leinenhaube auf den Kopf, schnürte das Kinnband und schlüpfte in die rehbraunen Kuhmaulschuhe.
Anschließend packte sie ihren alten Nähbeutel, mit dem sie seinerzeit als junges Mädchen nach Frankfurt gekommen war, in ein abgewetztes Felleisen. Als Tochter eines Schneiders konnte sie gut nähen und hatte damals gehofft, in der großen Stadt am Main eine Stelle als Näherin zu finden. Das hatte sich indessen als aussichtslos erwiesen. – Vielleicht kann mir der Beutel ja doch noch von Nutzen sein, dachte sie jetzt grimmig und verstaute auch den Theriak, den Kamm und die Honigseife in dem Ranzen. Nachdem Ursel noch ein Nachtgewand und ein Schultertuch dazugepackt und ihren grauen Kapuzenumhang über den Arm gelegt hatte, holte sie noch einmal tief Luft, trat aus der Tür und eilte die Treppe hinab.
Als die Hurenkönigin den Aufenthaltsraum betrat, rissen die Huren vor Staunen die Augen auf. Sie erblickten eine schlicht gekleidete Magd mit ungeschminktem Gesicht unter einer weißen Haube. Lediglich die eindringlichen schwarzen Augen der Hurenkönigin kündeten von der außergewöhnlichen Lebenserfahrung einer Frau, der nichts Menschliches fremd war.
»Ja, schaut mich nur an«, sagte die Zimmerin lachend. »So ähnlich hab ich ausgesehen, als ich vor vierzig Jahren nach Frankfurt kam. Nur war ich damals noch ein junges Ding, und jetzt bin ich eine alte Krähe!«
»Ihr seht aus, als ob Ihr kein Wässerchen trüben könnt, Meistersen«, kicherte die Jennischen Marie.
»Dabei hat sie’s faustdick hinter den Ohren! – Meistersen, was zum Teufel führt Ihr denn wieder im Schilde?«, platzte es aus der alten Irmelin heraus.
»Das sage ich euch gleich«, erwiderte die Hurenkönigin und bedeutete den Huren, sich an den Tisch zu setzen. In dem Schankraum war es mucksmäuschenstill geworden. Die Zimmerin musste sich ein wenig überwinden, die Huren in ihr Vorhaben einzuweihen, denn sie fürchtete harschen Widerspruch.
»Ich habe Euch doch gestern Nacht von Schwester Theodoras Beteuerung erzählt, sie habe die Morde an Rosi und Isolde nicht begangen …«, begann sie angespannt. In der
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