Die Hurenkönigin (German Edition)
Todeskandidaten erhalten vor ihrer Hinrichtung gewisse Vergünstigungen. Auch das Licht gehört dazu. Sie dürfen beichten, Besuch empfangen oder andere Wünsche äußern. Schwester Theodora wollte nur ihren Rosenkranz – und die Hurenkönigin sprechen. – Hier ist sie, die Zimmerin!«, rief er vernehmlich, weil sich die auf dem Boden kauernde Gestalt bislang nicht gerührt hatte.
Theodora schien geschlafen zu haben, der Ausruf des Henkers ließ sie jäh zusammenfahren. Mühevoll richtete sie den Oberkörper auf und lehnte sich erschöpft an die Steinmauer. Mit großen verzweifelten Augen sah sie die Hurenkönigin an und stieß keuchend aus: »Ich … danke Euch, dass … Ihr gekommen seid, Zimmerin!« Mit kraftloser Geste wies sie auf den Stuhl und murmelte: »Nehmt doch bitte Platz …«
Der Geruch der Speisen, der sich mit dem Gestank von Blut und menschlichen Ausdünstungen mischte, hätte der Hurenkönigin beinahe den Magen umgedreht. Ermattet ließ sie sich auf den Stuhl sinken und sagte zum Henker, der breitbeinig an ihrer Seite stand: »Ihr könnt gehen, Meister Jerg. Ruht Euch doch ein wenig aus, das wird hier schon nicht so lange dauern.«
»Ich setz mich raus auf den Flur, da hab ich einen Hocker. Ruft mich, wenn was ist«, erwiderte der Scharfrichter und verließ die Zelle.
Als Ursel mit der Gefangenen allein war, herrschte zunächst Stille. Theodora starrte ihre Besucherin müde an. Die glasigen Augäpfel mit den geweiteten Pupillen hatten nichts Stechendes mehr, es waren die Augen einer Sterbenden. Ursel war der Blick unangenehm, aber sie konnte bei aller Abneigung nicht umhin, die Unglückselige zu bedauern.
Da durchbrach die Stimme der ehemaligen Nonne das Schweigen. »Ich möchte Euch um Verzeihung bitten, Gildemeisterin«, wisperte sie.
Ursel sah Theodora an und enthielt sich einer Entgegnung. Dieses Häufchen Elend soll drei Frauen gefoltert und ermordet haben?, fragte sie sich beim Anblick der hohlwangigen Gefangenen, und sie erinnerte sich daran, dass sie der Ordensfrau bis vor kurzem noch jede Gräueltat zugetraut hatte. Als sie vor gerade einmal zwei Tagen die tote Freundin in dem Kellerverschlag des Klosters gefunden hatte, waren Hass und Verzweiflung in ihr so mächtig gewesen, dass sie ohne weiteres in der Lage gewesen wäre, die Mörderin zu erwürgen. Und nun empfand sie Auge in Auge mit ihr nichts als dumpfen Schmerz und gähnende Leere.
»Wie soll ich Euch das jemals verzeihen?«, murmelte sie schließlich wie zu sich selbst und zuckte verzagt mit den Schultern.
»Ich meine nicht, dass ich den Tod Eurer Lohnsetzerin verschuldet habe«, sagte Theodora nun mit festerer Stimme. »Das ist unverzeihlich, und dafür werde ich auch bis ans Ende aller Tage in der Hölle büßen. Ich fange ja jetzt schon damit an …« Die ehemalige Nonne gab ein bitteres Lachen von sich und fuhr fort: »Nein, ich möchte Euch um Verzeihung bitten, weil ich Euch so schlecht behandelt und beleidigt habe.«
Die Zimmerin blickte verwundert auf und erwiderte mit schiefem Lächeln: »Wir Huren sind es gewohnt, beleidigt zu werden.« Sie musterte die einstige Nonne abschätzig, ehe sie sich erkundigte: »War es das? Dann kann ich ja wieder gehen.«
Zu ihrer Verblüffung erklärte Theodora nachdrücklich: »Ich habe Euch noch etwas Wichtiges zu sagen.« Sie holte tief Luft und stieß hervor: »Ich habe die anderen beiden Huren nicht umgebracht! – Ich habe ein falsches Geständnis abgelegt, weil ich die Folter nicht mehr ertragen konnte. Alle halten mich für schuldig, und mein Leben ist verwirkt. Aber Ihr sollt wissen, dass ich es nicht getan habe. Ich bin daran schuld, dass Eure Freundin zu Tode gekommen ist. Doch ich wollte sie nicht töten, glaubt mir! Wie konnte ich denn ahnen, dass sie an dem Knebel ersticken würde …« Theodora barg ihr Gesicht in den Händen und schluchzte. »Aber ich schwöre Euch bei der heiligen Maria Magdalena, die ich verehre und anbete: Ich habe die zwei anderen Hübscherinnen nicht getötet! Bitte glaubt mir das! Und ich sage Euch das auch nicht, weil ich mich reinwaschen will, sondern weil der grausame Mensch, der den Frauen das angetan hat, auch nach meinem Tode weiterhin sein Unwesen treiben kann.« Theodora bebte am ganzen Körper.
Die Zimmerin, die sich entsetzt die Haare raufte, zitterte nicht minder. »Ich habe es geahnt! Dieser Unhold läuft noch immer frei herum …«, murmelte sie völlig außer sich.
»Ihr werdet ihn finden und unschädlich machen,
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