Die Hurenkönigin (German Edition)
sie, »wartet bitte auf mich!«
Der Henker blieb sofort stehen und drehte sich zu Ursel um.
»Ich dachte, Ihr wolltet Euren Galan besuchen«, bemerkte er spitz, als die Hurenkönigin zu ihm trat.
»Der war nicht zu Hause«, entgegnete Ursel und blickte den Henker offen an. »Ich bin froh, dass ich Euch noch getroffen habe, Meister Jerg. Ich möchte Euch nämlich etwas fragen.«
»Fragt nur«, murmelte der Henker beim Weitergehen verdrießlich. »Aber fragt bitte schnell, ich bin nämlich durstig und will in der Galgenschenke noch einen trinken gehen.« Er streifte die Hurenkönigin mit einem taxierenden Blick und fügte hinzu: »Oder wollt Ihr doch mitkommen?«
»Warum nicht?«, willigte Ursel, die ihm nicht schon wieder einen Korb geben wollte, ein und folgte dem Scharfrichter zur Schenke.
Als der Henker und die Hurenkönigin den gutbesuchten Schankraum betraten, verstummten plötzlich alle Gespräche. Sofort eilte der Wirt auf die beiden zu und rückte ihnen einen kleinen Tisch an die Tür, stellte einen dreibeinigen Hocker dazu und holte von einem der anderen Tische noch einen Stuhl, den er der Hurenkönigin anbot. Während der Henker auf dem Hocker Platz nahm, nahm der Wirt mit gesenktem Blick die Bestellung entgegen. Er war peinlich darauf bedacht, Abstand zu Meister Jerg zu halten – der Henker wurde von gewöhnlichen Leuten stets fast wie ein Aussätziger behandelt.
Als der Henker Ursels verärgerten Gesichtsausdruck bemerkte, grinste er und erklärte zynisch: »Keiner von denen würde jemals mit mir zechen, Zimmerin. Deswegen freut es mich auch so, dass Ihr mir heute Gesellschaft leistet und ich nicht alleine saufen muss wie sonst immer.«
»Die Verachtung ist unser Los, Meister Jerg. Aber seid versichert: Ich zeche gerne mit Euch«, antwortete Ursel und klopfte dem Henker aufmunternd auf die Schulter.
Nachdem der Wirt das Bier gebracht und sie miteinander angestoßen hatten, blickte die Zimmerin den Henker mit ernster Miene an und fragte: »Meister Jerg, bitte sagt mir ganz ehrlich – glaubt Ihr, dass Schwester Theodora die Morde an Rosi und Isolde begangen hat?«
Der Scharfrichter zögerte mit der Antwort und sah betreten vor sich auf den Tisch.
Ursel setzte nach: »Ich meine, Ihr habt doch Erfahrung mit Delinquenten und könnt einschätzen, ob sie die Wahrheit sagen oder lügen …«
»Was wisst Ihr denn schon von der Folter«, murmelte der Henker abwinkend. »Ich habe noch keinen erlebt, der unter der Folter nicht alles gestanden hätte, was der Untersuchungsrichter oder ein Inquisitor von ihm hören wollte. Da ist es letztendlich egal, ob einer wirklich Dreck am Stecken hat oder unschuldig ist. Sterben müssen sie alle, die armen Schweine. Und manch einer verreckt schon bei der Folter. Was diese Nonne anbetrifft, kann ich Euch nur eins sagen: Die ist nicht ganz bei Trost – und das sind oft die Gefährlichsten. Solche morden nicht aus Habgier oder Wut, sondern weil sie besessen sind. Da bringt einer kleine Kinder um, weil er in seinem Wahn glaubt, dass es Teufelsbälger sind, und diese Nonne meuchelt Huren, weil käufliche Frauen für sie das Böse verkörpern.«
Die Hurenkönigin hörte ihm nachdenklich zu. Sie erinnerte sich noch deutlich daran, wie hasserfüllt Theodora über käufliche Frauen gewettert hatte. Dennoch hatte die Eindringlichkeit, mit der sie ihre Unschuld am Tode von Rosi und Isolde beteuert hatte, Ursel zutiefst verstört.
»Und warum schwört sie dann mir gegenüber bei allem, was ihr heilig ist, dass sie die beiden Morde nicht begangen hat?«, murmelte sie unsicher.
»Vielleicht will sie Euch noch einen Schabernack spielen, bevor sie ins Gras beißt?«, erwiderte Meister Jerg brüsk und leerte in einem Zug seinen Bierkrug.
Teil 3
Die Geläuterte
Maria von Ägypten –
Schutzpatronin der Huren
Beim Betreten in den Tempel zu Jerusalem von einer unsichtbaren Gewalt zurückgehalten, änderte die Prostituierte Maria ihr Leben. Sie sagte über sich selbst:
»Alles, was schändlich ist, habe ich getan.«
Von da an lebte sie in tiefer Buße einsam in der Wüste.
Ihr Gedenktag ist der 9. April.
13
Donnerstag, 4. August 1511
Um die neunte Stunde überquerte die Hurenkönigin den weiten Platz vor dem Römerrathaus und steuerte auf einen kleinen Straßenmarkt zu. Außer Brot, Backwaren, Eiern, Würsten, Obst und Gemüse wurden dort auch Haushaltsutensilien, Schürzen, Hauben und Arbeitskleider für Mägde und Wäscherinnen feilgeboten.
Ursel, die am Morgen
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