Die Hurenkönigin und der Venusorden
musste Genoveva unwillkürlich grinsen.
»Darf ich mich ein wenig zu Euch setzen?«, riss sie plötzlich eine Frauenstimme aus ihren Gedanken. Erschrocken blickte sie auf. Vor ihr stand eine stattliche Frau in einem hellgrauen Umhang und lächelte sie freundlich an. Ihr hoch aufgetürmtes Haar funkelte feuerrot im Sonnenlicht. Das markante, dezent geschminkte Gesicht kam Genoveva irgendwie bekannt vor.
»Setzt Euch nur …«, murmelte sie verschüchtert und rückte ein Stück zur Seite. Unversehens kam Asta herbeigeeilt und bellte die Fremde aufgeregt an.
»Braver Hund«, sagte die Frau mit einer angenehm dunklen Stimme und streichelte dem Hund begütigend übers Fell. »Er will Euch beschützen.«
»Ja, sie ist meine Beste«, erklärte Genoveva lächelnd und gab dem Hund ein Stück Krapfen.
»Schön hier«, seufzte die Rothaarige. »Jetzt kommt endlich der Frühling.«
Genoveva musterte sie verstohlen. Die will doch etwas von mir! , dachte sie. Da fiel ihr Blick auf eine gelbe Gewandfalte, die aus dem Umhang hervorlugte. Eine Hübscherin!
»Ihr … Ihr seid?«, murmelte sie fragend.
Die Fremde schien ihre Gedanken erraten zu haben. »Ich bin die Hurenkönigin – Ursel Zimmer mein Name«, stellte sie sich vor und sah die Frau im Trauermantel offen an. Genoveva konnte den Blick kaum ertragen, doch sie vermochte es auch nicht, sich abzuwenden – von diesen schwarzen Samtaugen, die wohl schon alles im Leben gesehen hatten.
»Genoveva Uffsteiner«, erwiderte sie gepresst und ließ vor lauter Befangenheit die Tüte mit den Krapfen fallen. Die Frau an ihrer Seite bückte sich, hob sie auf und reichte sie ihr.
»Danke! Ich … ich habe schon viel von Euch gehört«, stotterte Genoveva und spürte, dass sie unversehens anfing zu zittern.
Die Hurenkönigin berührte sachte ihre Hand. Genoveva fühlte die Wärme, die von ihr ausging, und hatte das bestürzende Gefühl, jeden Moment weinen zu müssen.
»Mein Beileid, Frau Uffsteiner«, erklärte die Zimmerin schlicht.
»Ich danke Euch«, murmelte Genoveva mit brüchiger Stimme und schluckte tapfer ihre Tränen herunter. »Was … was wollt Ihr von mir?«, erkundigte sie sich angespannt.
»Ich würde gerne mit Euch reden, wenn Ihr nichts dagegen habt.« Die Hurenkönigin lächelte die Patrizierin entwaffnend an.
Die alte Angst, etwas Falsches zu tun, ergriff übermächtig von Genoveva Besitz, und das Zittern wurde stärker.
»Ich … ich weiß nicht, ob mir das … gestattet ist«, stieß sie hervor und kraulte nervös das Fell des Hundes, der sich zu ihren Füßen niedergelassen hatte.
»Wer sollte es Euch verbieten?«, fragte die Hurenkönigin.
Da war er wieder, dieser durchdringende Blick, der Genoveva das beklemmende Gefühl vermittelte, diese Frau könnte bis auf den Grund ihrer Seele spähen, wo die blanke Furcht regierte. Sie war wie gelähmt. »Ich … ich weiß nicht«, stieß sie hervor. Trotz der warmen Frühlingssonne fröstelte sie.
»Es tut mir sehr leid, was Eurem Gatten widerfahren ist, und ich hoffe inständig, dass der grausame Mensch, der ihm das angetan hat, bald gefasst wird«, erklärte die Gildemeisterin mitfühlend. »Er war ja, bevor man ihn ermordet hat, noch bei uns im Frauenhaus, daher fühle ich mich gewissermaßen mitverantwortlich, den Mörder dingfest zu machen. Zumal man eine unserer Hübscherinnen verdächtigt, die Tat begangen zu haben.«
Genoveva nickte. »Das ist mir zu Ohren gekommen«, bemerkte sie zurückhaltend.
Mit ernster Miene erklärte die Hurenkönigin: »Ich bin jedoch der Ansicht, dass die Frau unschuldig ist und man ihr die Tat nur anhängen will.« Sie hielt kurz inne. Als von Frau Uffsteiner, die ihr schweigend zuhörte, kein Einwand kam, fuhr sie fort: »Darum möchte ich Euch jetzt fragen, ob Euch in der Nacht, in der Euer Mann ermordet wurde, irgendetwas Verdächtiges aufgefallen ist?«
»Nein«, erwiderte Genoveva prompt. »Es war ein Abend wie jeder andere. Ich habe mit meiner Tochter am Kamin gesessen. Sie hat gelesen, und ich war mit meiner Stickerei beschäftigt. Und dann sind wir um die neunte Stunde zu Bett gegangen.« Sie hüstelte nervös, und es kam ihr für einen flüchtigen Moment so vor, als habe die Frauenhauswirtin skeptisch die Stirn gerunzelt.
»Und sonst war nichts?«, setzte die Hurenkönigin auch gleich nach. »Ich meine, irgendwelche außergewöhnlichen Vorkommnisse oder unerwartete Besuche?«
Genovevas kleine Hände krallten sich fahrig in den Stoff ihres Trauermantels. Er hat
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