Die Hurenkönigin und der Venusorden
nur beschränkt.
Aus den Büchern und Schriften, die sich auf den Regalbrettern in dichten, scheinbar ungeordneten Zweierreihen stapelten, zog der betagte Mönch mit sicherem Griff eine in Leder gebundene Kladde hervor und kehrte damit zum Schreibpult zurück.
Nachdem er ein wenig darin geblättert hatte, murmelte er zufrieden: »Ulm – da haben wir es doch …« Der alte Mann fuhr mit dem Zeigefinger konzentriert über die Zeilen. »Hartmann Schedel schreibt in seiner berühmten Weltchronik, die Amazonen hätten schon vor der Zeit Abrahams bis in die Regierungszeit Alexanders des Großen die Stadt Ulm regiert. Der Name Ulm geht übrigens auf einen geheiligten Ulmenhain zurück, in dem sie die Göttin Venus verehrten. Früher hießen die Amazonen auch Mondfrauen. Über diese kriegerischen Frauen ist bekannt, dass sie ihrer Göttin grausame Blutopfer darbrachten …« Die Stimme des Paters bebte, als er seinem Neffen erläuterte: »Es handelte sich hierbei um rituelle Kastrationen, die eine Priesterkönigin mit einer goldenen Mondsichel an den männlichen Dienern der Göttin vornahm. Diese waren geschminkt und trugen Frauenkleider. Teilweise kastrierten sich die Männer wohl auch selbst. Bereits seit dem neunten Jahrhundert wurden die sogenannten Mondfrauen oder Venusschwestern , wie sie sich später nannten, von der Heiligen Römischen Kurie als Hexen und zauberische Weiber bezeichnet und entsprechend verfolgt.« Der Dominikaner warf Bernhard, der ihm mit düsterer Miene zuhörte, einen besorgten Blick zu. »Junge, was hast du mit derlei Weiberbünden zu schaffen? Warum erkundigst du dich nach ihnen?«, fragte er ihn unumwunden.
Obwohl Bernhard wusste, dass er seinem Oheim vertrauen konnte, bat er ihn dennoch um absolute Verschwiegenheit, ehe er ihm von den beiden Ulmerinnen berichtete. Anfangs waren Bernhards Ausführungen noch verhalten, dann wurden sie lebhafter, und bald redete er sich all seinen Kummer von der Seele.
In den Augen des alten Mannes spiegelte sich Mitgefühl und Sorge. »Sei nur vorsichtig, Bernhard«, mahnte er bekümmert. »Solche Frauen sollte man sich nicht zu Feindinnen machen – und auch nicht zu Geliebten. Auch wenn ich nicht der gleichen Meinung bin wie unsere Inquisition, dass heidnische Weiberbünde allesamt auf den Scheiterhaufen gehören, muss ich dich doch vor diesen Venusschwestern warnen: Sie sind gefährlich.« Der alte Mönch warf Bernhard einen eindringlichen Blick zu.
Dieser nickte beklommen. »Seitdem sie aufgetaucht sind, ist das Unglück über uns gekommen«, murmelte er erbittert.
»Das kann man wohl sagen«, stimmte ihm der Oheim zu. »Erst recht, wenn man an den bestialischen Mord an Uffsteiner denkt. Dem Senator wurden ja auch die Genitalien abgetrennt. Ich denke, es kommt nicht ganz von ungefähr, dass diese Ulmerin verdächtigt wird …«
»Zuzutrauen wäre es ihr«, knurrte Bernhard finster. »Auch wenn die Gildemeisterin da sicher anderer Meinung ist als ich. Das Weibsbild übt keinen guten Einfluss auf sie aus …«
»Immerhin soll die Ulmerin ja heute peinlich befragt werden, und da ist es so gut wie sicher, dass sie ein Geständnis ablegen wird. Dafür wird Meister Jerg schon sorgen«, sagte der Pater mit sarkastischem Unterton und zog die buschigen Brauen in die Höhe. »Von daher wird sich das Problem von selbst lösen. Aber um deine Hurenkönigin wirst du dich schon ein bisschen bemühen müssen, mein Lieber. Und lass bloß die Finger von dieser jungen Circe – oder besser gesagt: Sirene. Die bringt dir nur Unheil, und wenn sie noch so liebreizend und klug ist.«
Bernhard schwieg beklommen. Dann stieß er hervor: »Es ist wie verhext, ich kriege sie nicht mehr aus dem Kopf, dabei war ich nur ein paar Stunden mit ihr zusammen.« Er rieb sich verzweifelt die Schläfen. »Aber ich werde mich in Zukunft von ihr fernhalten, so viel steht fest. Denn mir liegt viel daran, dass ich mit Ursel wieder zusammenkomme. Das darfst du mir wirklich glauben.« Bernhard barg sein Gesicht in den Händen.
Der alte Mönch, der in jungen Jahren selbst die Liebe zu einer Frau erfahren hatte, legte tröstend die Hand auf Bernhards Schulter. »Das wird schon wieder, mein Junge. Wenn die Liebe so tief ist wie bei euch beiden, überdauert sie so etwas.«
»Hoffentlich!«, murmelte Bernhard inständig und drückte dankbar die Hand des alten Mannes.
Der Oheim lächelte aufmunternd und sagte plötzlich: »Da fällt mir ein: In Ulm wohnt ein alter Gelehrtenfreund von mir.
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