Die Hurenkönigin und der Venusorden
war.« Er sah die Zimmerin an und machte eine kurze Pause, ehe er weitersprach: »Sie hat Stein und Bein geschworen, dass sie dem Uffsteiner kein Haar gekrümmt hat und fertig. Die hätte man aufschlitzen können, und die hätt einem nix anderes erzählt«, tönte der Henker derb und murmelte hastig eine Entschuldigung, als er die erschrockenen Mienen der beiden Frauen bemerkte.
In Irenes Augen glitzerten Tränen, als sie fragte: »Und was geschieht jetzt mit Mutter? Wird man sie wieder freilassen?«
Auf Meister Jergs groben Gesichtszügen zeigte sich ein Anflug von Mitgefühl. »Erst mal nicht, der Reichmann war dagegen«, erklärte er zerknirscht. »Wenn’s nach dem Fauerbach gegangen wäre, schon. Ich hab gehört, wie er nach der Befragung zum Bürgermeister gesagt hat, dass das Gesetz das so vorschreibt. Wenn einer nicht gesteht und man ihm nichts Gegenteiliges beweisen kann, gilt er als unschuldig. Aber ich muss zugeben, ich hab noch nie erlebt, dass einer bei der Folter nicht anfängt zu quatschen. Jedenfalls hat der Reichmann bestimmt, dass die Ulmerin noch in Gewahrsam bleiben soll, solange ihre Unschuld nicht restlos bewiesen ist. Außerdem hat er wohl Schiss, dass sie abhaut.« Der Henker senkte betreten den Blick. »Ich … ich soll Euch etwas von Eurer Mutter ausrichten«, sagte er, an Irene gewandt. Als diese ihn aufgeregt anblickte, tat er sich offenkundig schwer, die Nachricht über die Lippen zu bringen. »Ich soll Euch sagen, dass sie Euch liebt«, murmelte er schließlich. »Und Euch auch.« Dabei sah er Ursel an, die unversehens Wehmut überkam.
»Armes Ding«, flüsterte sie betroffen, als Irene in haltloses Schluchzen ausbrach.
»Ich … liebe sie … auch«, stammelte die schöne junge Frau mit tränenerstickter Stimme. Sie weinte so herzzerreißend, dass Ursel trotz ihrer Ressentiments gegen die junge Ulmerin nicht umhinkonnte, tröstend den Arm um sie zu legen.
Genoveva Uffsteiner stand am Fenster und blickte hinaus auf das bunte Treiben in der Neuen Kräme. Es war herrliches Wetter, und die Menschen auf der Gasse wirkten fröhlich und unbeschwert. Ein richtiger Frühlingstag, der erste in diesem Jahr, dachte Genoveva und beschloss spontan, einen Spaziergang zu machen. Zwar war sie in Trauer, außerdem war für morgen die Beerdigung ihres Mannes angesetzt, aber die frische Luft würde ihr sicher guttun – und dem Hund auch.
Sie rief die Windspielhündin herbei und legte ihr das neue Halsband aus kostspieligem Chagrinleder an, das sie gestern an einem der Messestände bei einem spanischen Händler erworben hatte. Anschließend begutachtete sie sich im Spiegel. Sie tupfte vorsichtig etwas Zinkpaste auf ihr blau verfärbtes Augenlid und die noch immer leicht geschwollene Oberlippe, befand mit kritischem Blick, dass kaum noch etwas zu sehen war, und zog ihren schwarzen Trauermantel mit der weiten Kapuze über. Nachdem sie die Hündin angeleint hatte, verließ sie das Haus und schlenderte an den Verkaufstischen vorbei in Richtung Mainufer.
Der köstliche Duft nach frischen Krapfen stieg ihr in die Nase, und kurz entschlossen erstand sie eine Tüte des noch warmen Backwerks. Sie würde es am Mainufer genüsslich verzehren – und Asta würde auch etwas davon abbekommen. Die zierliche Frau sog die milde Frühlingsluft tief ein und beschleunigte ihre Schritte. Wie lange mochte es her sein, dass sie sich zuletzt über solche kleinen Dinge freuen konnte, überlegte sie und kannte die Antwort bereits: eine Ewigkeit!
Am Mainufer bog sie nach rechts ab, weil es dort ruhiger war als im Bereich der Mainbrücke, über die unentwegt die Menschenmassen strömten. Sie spähte über die Uferböschung hinab. Außer ein paar Fischern und einer Gruppe Kinder, die in einiger Entfernung spielten, war niemand zu sehen. Sie ließ Asta von der Leine, die übermütig den Möwen hinterherjagte, und suchte nach einem Platz, wo sie sich hinsetzen konnte. Einfach nur in der Sonne sitzen, Krapfen essen und dem Hund zuschauen – war das herrlich!
Sie fand ein umgedrehtes Boot und ließ sich darauf nieder. Die Sonne brannte auf ihr Gesicht, und Genoveva schloss genießerisch die Augen.
Am Sonntag würde sie mit Gertrud auf ihren Landsitz am Hattsteinweiher fahren, um dort die Karwoche und die Osterfeiertage zu verbringen. Nur die Köchin würde mitkommen und natürlich Asta. Das reinste Weiberregiment, hatte Gertrud gescherzt.
»Das haben wir doch jetzt schon«, hatte sie selbst erwidert, und beim Gedanken daran
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