Die Hyperion-Gesänge 01 - Hyperion
nicht überleben, daher emigrierten sie ins Outback und nannten die Kolonialwelt nach ihrem Mond.«
König Billy lächelte traurig. »Und wissen Sie, warum der Name für unser Unternehmen so angemessen ist?«
Ich brauchte zehn Sekunden, bis ich den Zusammenhang hergestellt habe. »Keats«, sagte ich.
Vor mehreren Jahren hatte mich König Billy am Ende einer langen Diskussion über die Essenz der Poesie gefragt, wer der reinste Dichter wäre, der je gelebt hatte.
»Der reinste?« hatte ich gesagt. »Meinen Sie nicht den größten?«
»Nein, nein«, sagte Billy, »es ist absurd, darüber zu diskutieren, wer der größte war. Ich bin neugierig auf Ihre Meinung, wer der r-r-reinste ist ... Der dem Wesen, das Sie beschreiben, am nächsten kommt.«
Ich dachte ein paar Tage darüber nach, dann überbrachte ich König Billy, der auf einer Klippe beim Palast den Sonnenuntergang betrachtete, meine Antwort. Rote und blaue Schatten fielen über den bernsteinfarbenen Rasen in unsere Richtung. »Keats«, sagte ich.
»John Keats«, flüsterte der Traurige König Billy. »Ahh.« Dann, einen Augenblick später: »Weshalb?«
Und so hatte ich ihm erzählt, was ich über den Dichter der Alten Erde des neunzehnten Jahrhunderts wußte; von seiner Erziehung, seiner Ausbildung, seinem frühen Tod ... aber hauptsächlich von einem Leben, das fast ausschließlich den Geheimnissen und der Schönheit dichterischen Schaffens gewidmet war.
Damals hatte Billy interessiert gewirkt, jetzt schien er besessen, als er mit der Hand winkte und ein Holomodell ins Leben rief, das fast das gesamte Zimmer einnahm. Ich wich zurück und schritt durch Berge und Bauwerke und weidende Tiere, damit ich besser sehen konnte.
»Sehet – Hyperion«, flüsterte mein Mäzen. Wie immer, wenn er völlig gebannt von etwas war, vergaß er zu stottern. Das Holo zeigte verschiedene Panoramen: Flußstädte, Hafenstädte, Gebirgsstädte, eine Stadt auf einem Hügel mit Monumenten, die den seltsamen Gebilden in einem nahegelegenen Tal entsprachen.
»Die Zeitgräber?« fragte ich.
»Genau. Die größten Geheimnisse im bekannten Universum.«
Ich betrachtete den Kegelschnitt stirnrunzelnd. »Die Scheißdinger sind leer«, sagte ich. »Sie sind leer seit sie entdeckt worden sind.«
»Sie sind Quelle eines seltsamen Anti-Entropiefeldes, das andauert«, sagte König Billy. »Eines der wenigen Phänomene, abgesehen von Singularitäten, die es wagen, mit der Zeit selbst zu spielen.«
»Sie sind nichts Besonderes«, sagte ich. »Muß gewesen sein, als würde man Rostschutzfarbe auf Metall auftragen. Sie sind für die Ewigkeit gebaut, aber sie sind leer. Und seit wann rasten wir wegen der Technologie aus?«
»Nicht Technologie«, seufzte König Billy, dessen Gesicht zu noch tieferen Wülsten schmolz. »Geheimnis. Die seltsame Umgebung, die für manche kreativen Geister so notwendig ist. Eine perfekte Mischung des klassischen Utopia und des heidnischen Geheimnisses.«
Ich zuckte unbeeindruckt die Achseln.
Der Traurige König Billy winkte das Holo weg. »Ist Ihre D-d-dichtkunst be-be-besser geworden?«
Ich verschränkte die Arme und betrachtete den königlichen Glibberzwerg. »Nein.«
»Ist Ihre M-m-muse zurückgekehrt?«
Ich sagte nichts. Wenn Blicke töten könnten, hätten wir alle vor Einbruch der Nacht »Der König ist tot, es lebe der König!« gebrüllt.
»Nun gu-gu-gut«, sagte er und demonstrierte, daß er nicht nur grenzenlos traurig, sondern auch unerträglich verschmitzt aussehen konnte. »Pa-pa-packen Sie Ihre Sa-sa-sachen, mein Junge. Wir reisen nach Hyperion.«
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Die fünf Saatschiffe des Traurigen Königs Billy schweben wie goldene Pusteblumen über einem lapislazulifabenen Himmel. Weiße Städte erheben sich auf drei Kontinenten: Keats, Endymion, Port Romance ... die Stadt der Dichter selbst. Mehr als achttausend Pilger der Kunst wollen der Tyrannei des Mittelmäßigen entrinnen und suchen nach einer Erneuerung der Vision auf dieser grob geflickschusterten Welt.
Asquith und Windsor-im-Exil waren im Jahrhundert nach der Hegira ein Zentrum der Androidenbiofabrikati-on, und nun schufteten diese blauhäutigen Freunde der Menschen mit der Gewißheit, daß sie endlich frei sein würden, wenn diese Schufterei beendet war. Die weißen Städte wuchsen. Die Eingeborenen, die es satt hatten, die Wilden zu spielen, kamen aus ihren Dörfern und Wäldern und halfen uns, die Kolonie nach menschengemäßeren Richtlinien neu zu gestalten. Die
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