Die Hyperion-Gesänge 01 - Hyperion
Pete.
Schiff-Sicherheitsmanager Hines wird gefeuert, Stadtverwalter Pruett bekommt von Seiner Majestät die Erlaubnis, eine bewaffnete städtische Polizeitruppe von etwa fünfundzwanzig Mann zu rekrutieren, zu bewaffnen und auszubilden. Man spricht davon, die gesamte Stadtbevölkerung, etwa sechstausend Menschen, dem Lügendetektorverhör zu unterziehen. In den Straßencafes wird hitzig über Bürgerrechte diskutiert ... rechtlich standen wir außerhalb der Hegemonie – hatten wir überhaupt Rechte? ... und haarsträubende Pläne werden geschmiedet, den Mörder zu fangen.
Dann fängt das Gemetzel an.
Die Morde folgen keinem ersichtlichen Schema. Leichen wurden zu zweien und dreien gefunden, oder allein, oder gar nicht. Manche verschwanden unblutig; bei anderen blieb literweise Klumpatsch zurück. Es gab keine Zeugen, keine Überlebenden eines Angriffs. Der Schauplatz schien unbedeutend zu sein: die Familie Weimont lebte in einem der umliegenden Dörfer, aber Sira Rob verließ ihr Turmatelier im Stadtzentrum nie; zwei Opfer verschwinden allein, des nachts, offenbar beim Spazierengehen im Zen-Garten, aber Kanzler Lehmans Tochter hatte private Leibwächter und verschwand trotzdem, als sie allein im Bad im siebten Stock des Palastes des Traurigen Königs Billy war.
Auf Lusus oder Tau Ceti Center oder einem Dutzend anderen Welten im Netz sorgt der Tod von einigen tausend Menschen nur für unbedeutende Schlagzeilen – Thema für die Kurzmeldungen der Datensphäre oder den Innenteil der Morgenzeitungen –, aber in einer Stadt mit sechstausend Menschen auf einer Kolonie mit fünfzigtausend ziehen ein Dutzend Morde – wie die sprichwörtliche Strafe, bei Sonnenaufgang gehängt zu werden – die Aufmerksamkeit wunderbar auf sich.
Ich kannte eines der ersten Opfer. Sissipriss Harris war eine meiner ersten Eroberungen als Satyr gewesen – und eine meiner enthusiastischsten –, ein wunderschönes Mädchen mit langem, blondem Haar, das zu seidig wirkte, um wahr zu sein, einer frischen Pfirsichhaut, die so jungfräulich wirkte, daß man sie kaum zu berühren wagte, eine Schönheit, die man nicht glauben wollte: genau der Typ Mädchen, der selbst im schüchternsten Mann Vergewaltigungsphantasien weckt. Nun hatte man Sissipriss ernsthaft Gewalt angetan. Sie fanden nur ihren Kopf, der aufrecht mitten auf der Lord Byron Plaza lag, so als wäre sie bis zum Hals in Gußmarmor begraben worden. Als ich diese Einzelheiten hörte, wußte ich genau, mit welcher Art von Geschöpf wir es zu tun hatten, denn eine Katze, die ich auf Mutters Anwesen gehabt hatte, hatte fast jeden Morgen ähnliche Opfergaben auf der Südveranda hinterlassen – den Kopf einer Maus etwa, der in schierer Nagetierfassungslosigkeit vom Sand aufsah, oder das scharfzahnige Grinsen eines Eichhörnchens –, Jagdtrophäen eines stolzen, aber hungrigen Raubtiers.
Der Traurige König Billy kam mich besuchen, während ich an meinen Gesängen arbeitete.
»Guten Morgen, Billy«, sagte ich.
»Es heißt Eure Majestät«, knurrte Seine Majestät – eine seltene Zurschaustellung königlicher Pikiertheit. Sein Stottern hatte in dem Augenblick aufgehört, als das königliche Landungsboot auf Hyperion gelandet war.
»Guten Morgen, Billy, Eure Majestät.«
»Hnnrh«, knurrte mein Monarch, rückte ein paar Blätter zur Seite und schaffte es, sich in die einzige Kaffeepfütze auf einer sonst trockenen Bank zu setzen. »Sie schreiben wieder, Silenus.«
Ich sah keinen Grund, das Offensichtliche zu bestätigen.
»Haben Sie immer einen Füller benützt?«
»Nein«, sagte ich, »nur wenn ich etwas schreibe, das sich zu lesen lohnt.«
»Lohnt es sich, das zu lesen?« Er deutete auf den kleinen Manuskriptstapel, den ich in zwei hiesigen Wochen zustande gebracht hatte.
»Ja.«
»Ja? Nur ja?«
»Ja.«
»Werde ich es bald zu lesen bekommen?«
»Nein.«
König Billy sah an sich hinab und stellte fest, daß sich seine linke Pobacke in einer Kaffeepfütze befand. Er runzelte die Stirn, rutschte beiseite und wischte die sichtlich geschrumpfte Pfütze mit dem Saum seines Mantels ab. »Niemals?« fragte er.
»Nur wenn Sie mich überleben.«
»Das habe ich vor«, sagte der König. »Während Sie vor Erschöpfung zugrunde gehen, jedem Lämmchen im Königreich den Bock zu machen.«
»Ist das ein Vorwurf oder eine Metapher?«
»Weder, noch«, sagte König Billy. »Nur eine Feststellung.«
»Ich habe seit meinen Kindertagen auf der Farm keinem Lämmchen mehr meine
Weitere Kostenlose Bücher