Die Hyperion-Gesänge 01 - Hyperion
erfrischend, als die Gruppe auf dem Quarterdeck stand und zusah, wie das dunkle Grasmeer vorbeirauschte. Der Himmel war eine gewaltige, mit Sternen verzierte Schüssel über ihnen und trug die Narben der Meteorbahnen. Segel und Takelage ächzten – Geräusche so alt wie das Reisen der Menschen selbst.
»Ich finde, wir sollten heute nacht Wachen aufstellen«, sagte Oberst Kassad. »Einer wacht, während die anderen schlafen. Zwei-Stunden-Intervalle.«
»Einverstanden«, sagte der Konsul. »Ich übernehme die erste Wache.«
»Morgen ...«, begann Kassad.
»Sehen Sie!« rief Pater Hoyt.
Sie sahen in die Richtung, in die sein Arm zeigte. Zwischen den funkelnden Sternbildern leuchteten bunte Feuerbälle auf – grün, violett, orange, wieder grün –, die die gewaltige Grasebene um sie herum beleuchteten wie Wetterleuchten. Vor diesem plötzlichen Schauspiel verblaßten Sterne und Meteorbahnen zur Bedeutungslosigkeit.
»Explosionen?« mutmaßte der Priester.
»Raumschlacht«, sagte Kassad. »Cislunar. Fusionswaffen.« Er ging rasch nach unten.
»Der Baum«, sagte Het Masteen und deutete auf ein Lichtpünktchen, das sich zwischen den Explosionen bewegte wie ein Stück Glut bei einem Feuerwerk.
Kassad kam mit seinem Verstärkerfernglas zurück und reichte es herum.
»Ousters?« fragte Lamia. »Ist es die Invasion?«
»Ousters mit Sicherheit«, sagte Kassad. »Aber mit ebensolcher Sicherheit nur ein Erkundungskommando. Sehen Sie diese Lichter? Das sind Raketen der Hegemonie, die durch die Abwehr der Ousteraufklärer gezündet werden.«
Der Konsul bekam das Fernglas. Die Blitze waren jetzt ziemlich deutlich, expandierende Kumuluswolken aus Flammen. Er konnte die Pünktchen und langen blauen Streifen von mindestens zwei Aufklärern sehen, die vor Verfolgern aus der Hegemonie flohen.
»Ich glaube nicht ...«, begann Kassad und verstummte, als das Schiff und die Segel und das Grasmeer in orangefarbenem Widerschein erblühten.
»Heiliger Christus«, flüsterte Pater Hoyt. »Sie haben das Baumschiff getroffen.«
Der Konsul schwenkte das Fernglas nach links. Man konnte den wachsenden Flammennimbus mit bloßem Auge erkennen, aber mit dem Fernglas waren der lange Stamm und die Laubkrone der Yggdrasil für einen Augenblick zu sehen, wie sie brannten und loderten; lange Flammenzungen leckten ins All, als die Sperrfelder brachen und der Sauerstoff zu brennen anfing. Die orangefarbene Wolke pulsierte, verblaßte und sank in sich zusammen, als der Stamm ein letztes Mal sichtbar wurde, ehe er glühte und auseinanderbrach wie das letzte lange Scheit in einem erlöschenden Feuer. Es konnte nichts überlebt haben. Das Baumschiff Yggdrasil mit seiner Besatzung und den Mannschaftsklonen und den halbintelligenten Ergpiloten war tot.
Der Konsul wandte sich an Het Masteen und hielt ihm verspätet das Fernglas hin. »Es tut mir ... so leid«, flüsterte er.
Der große Tempelritter nahm das Glas nicht. Er wandte den Blick langsam vom Himmel ab, zog die Kapuze nach vorne und begab sich ohne ein weiteres Wort nach unten.
Der Tod des Baumschiffs war die letzte Explosion. Als zehn Minuten verstrichen waren und keine weiteren Leuchtkronen die Nacht erhellt hatten, sagte Brawne Lamia: »Glauben Sie, sie haben sie?«
»Die Ousters?« sagte Kassad. »Wahrscheinlich nicht. Die Aufklärungsschiffe sind für Schnelligkeit und zur Verteidigung gebaut. Sie sind mittlerweile wahrscheinlich schon Lichtminuten entfernt.«
»Haben sie das Baumschiff absichtlich vernichtet?« fragte Silenus. Der Dichter hörte sich völlig nüchtern an.
»Ich glaube nicht«, sagte Kassad. »Es war lediglich ein Ziel, das sich angeboten hat.«
»Ein Ziel, das sich angeboten hat«, wiederholte Sol Weintraub. Der Gelehrte schüttelte den Kopf. »Ich gehe vor Sonnenuntergang ein paar Stunden schlafen.«
Die anderen gingen einer nach dem anderen unter Deck. Als nur noch Kassad und der Konsul an Deck waren, sagte der Konsul: »Wo soll ich Wache halten?«
»Gehen Sie einen Kreis«, sagte der Oberst. »Vom Hauptkorridor an der Leiter können Sie alle Kabinentüren und die Eingänge zur Messe und Kombüse überblicken. Kommen Sie rauf und überprüfen Sie Planke und Deck. Lassen Sie die Laternen an. Haben Sie eine Waffe?«
Der Konsul schüttelte den Kopf.
Kassad gab ihm seinen Todesstrahler. »Der Strahl ist gebündelt eingestellt – etwa ein halber Meter Streuung auf zehn Meter Entfernung. Benützen Sie ihn nur, wenn Sie ganz sicher sind, daß Sie einen
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