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Die Hyperion-Gesänge 01 - Hyperion

Die Hyperion-Gesänge 01 - Hyperion

Titel: Die Hyperion-Gesänge 01 - Hyperion Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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fünfundzwanzig Pfund und maß dreißig Zoll. Sie konnte sich nicht mehr selber anziehen. Ihr Wortschatz bestand aus fünfundzwanzig Worten; ihre Lieblingsworte waren ›Mommy‹ und ›Daddy‹.
    Sol liebte es, seine Tochter zu tragen. Manchmal ermöglichten ihm die Rundung ihres Köpfchens an seiner Wange, ihre Wärme an seiner Brust und der Geruch ihrer Haut, vorübergehend zu vergessen, wie ungerecht alles war. In diesen Momenten wäre Sol mit sich und dem Universum zufrieden gewesen, hätte er Sarai bei sich gehabt. So bildeten sie nur gelegentliche Feuerpausen in seinem wütenden Dialog mit einem Gott, an den er nicht glaubte.
     
    – Welchen Grund kann es dafür geben?
    – Welchen ersichtlichen Grund gab es für alle Formen von Leid, die die Menschheit erdulden mußte?
    – Genau, dachte Sol und fragte sich, ob er gerade zum ersten Mal einen Punkt gemacht hatte. Er bezweifelte es.
    – Die Tatsache, daß etwas nicht sichtbar ist, bedeutet nicht, daß es nicht existiert.
    – Das ist umständlich. Man sollte nicht dreimal ›nicht‹ verwenden müssen, um eine Aussage zu machen. Besonders, um etwas so Banales wie das zu sagen.
    – Ganz genau, Sol. Allmählich kommst du hinter den Sinn des Ganzen.
    – Was?
     
    Auf diesen Gedanken erfolgte keine Antwort. Sol lag in seinem Haus und hörte den Wüstenwind wehen.
     
    Rachels letztes Wort, das sie aussprach, als sie etwas über fünf Monate alt war, war ›Mamma‹.
    Sie wachte in ihrer Krippe auf und fragte nicht – konnte nicht fragen –, wo sie war. Ihre Welt bestand aus Mahlzeiten, Schläfchen, Spielsachen. Wenn sie manchmal weinte, fragte sich Sol, ob sie nach ihrer Mutter weinte.
    Sol kaufte in den kleinen Geschäften der Stadt ein und nahm das Baby mit sich, wenn er Windeln, Fläschchen und ab und zu ein Spielzeug aussuchte.
    In der Woche, bevor Sol nach Tau Ceti Center aufbrach, kamen Ephraim und die beiden anderen Ältesten zu einem Gespräch zu ihm. Es war Abend, das erlöschende Licht glomm auf Ephraims Kahlkopf. »Sol, wir machen uns Sorgen um Sie. Die nächsten paar Wochen werden schlimm. Die Frauen möchten Ihnen helfen. Wir möchten Ihnen helfen.«
    Sol legte dem älteren Mann die Hand auf den Unterarm. »Vielen Dank, Ephraim. Für alles in den letzten Jahren. Dies ist jetzt auch unsere Heimat. Sarai hätte gewollt ... gewollt, daß ich mich bei Ihnen bedanke. Aber wir brechen am Sonntag auf. Rachel wird es bald besser gehen.«
    Die drei Männer auf der langen Bank sahen einander an. Avner sagte: »Haben Sie ein Heilmittel gefunden?«
    »Nein«, sagte Sol. »Aber ich habe Grund zu hoffen gefunden.«
    »Hoffnung ist gut«, sagte Robert mit zurückhaltendem Tonfall.
    Sol grinste, so daß sich seine Zähne weiß vor dem grauen Bart abhoben. »Sollte sie auch sein«, sagte er. »Manchmal haben wir nicht mehr.«
     
    Die Holokamera des Studios zoomte auf eine Großaufnahme von Rachel, als das Kind im Studio von ›Common Talk‹ in Sols Arm lag. »Sie sagen also«, meinte Devon Whiteshire, Gastgeber der Show und drittbekanntestes Gesicht in der Datensphäre des Netzes, »daß die Weigerung der Kirche des Shrike, Sie zu den Zeitgräbern zurückkehren zu lassen ... und das Zögern der Hegemonie, Ihnen ein Visum zu erteilen ... daß das alles Ihr Kind zu dieser ... Auslöschung verurteilt?«
    »Genau«, sagte Sol. »Die Reise nach Hyperion läßt sich nicht in weniger als sechs Wochen bewerkstelligen. Rachel ist jetzt zwölf Wochen alt. Jede weitere Verzögerung durch die Kirche des Shrike oder die Bürokratie des Netzes werden dieses Kind umbringen.«
    Das Studiopublikum wurde unruhig. Devin Whiteshire drehte sich zur nächsten Kamera um. Sein runzliges, freundliches Gesicht füllte den ganzen Monitor aus. »Dieser Mann weiß nicht, ob er sein Kind retten kann«, sagte Whiteshire, in dessen Stimme deutlich subtile Gefühlsregungen mitschwangen, »er möchte nur eine Chance. Finden Sie, daß er ... und das Baby ... eine verdient haben? Wenn ja, wählen Sie Ihren planetaren Repräsentanten und den nächstgelegenen Shrike-Tempel an. Die Nummer Ihres nächstgelegenen Tempels müßte jetzt eingeblendet werden.« Er drehte sich wieder zu Sol um. »Wir wünschen Ihnen Glück, M. Weintraub. Und ...« – Whiteshires große Hand berührte Rachels Wange – »wir wünschen die möglichst schnelle Abwicklung, meine kleine Freundin.«
    Das Monitorbild zeigte Rachel, bis sie ausgeblendet wurde.
     
    Der Hawking-Effekt verursacht Übelkeit, Schwindel, Kopfschmerzen

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