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Die Hyperion-Gesänge 01 - Hyperion

Die Hyperion-Gesänge 01 - Hyperion

Titel: Die Hyperion-Gesänge 01 - Hyperion Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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Persönlichkeit sein könnte, auf die der Cybrid programmiert worden ist ...«
    »John Keats«, sagte ich.
    Johnny wandte sich vom Fenster ab und machte die Augen zu. Seine Stimme klang heiser und emotional. Ich hörte ihn zum ersten Mal Dichtung rezitieren:
     
    »Fanatics have their dreams, wherewith they weave
    A paradise for a sect, the savage too
    From forth the loftiest fashion of his sleep
    Guesses at Heaven; pity these have not
    Traced upon vellum or wild Indian leaf
    The shadows of melodious utterance.
    But bare of laurel they live, dream, and die;
    For Poesy alone can tell her dreams,
    With the fine spell of words alone can save
    Imagination from the sable charm
    And dumb enchantment. Who alive can say,
    ›Thou art no Poet – mayst not tell thy dreams‹?
    Since every man whose soul is not a clod
    Hath visions, and would speak, if he had loved,
    And been well nurtured in his mother tongue.
    Wether the dream now purposed to rehearse
    Be Poet's or Fanatic's will be known
    When this warm scribe my hand is in the grave.«
     
    »Besessene träumen und weben darin
    Ein Paradies für den Heiligen, den Wilden auch
    Aus tiefsten Schlafes Traumgestaden
    Den Himmel beschreiben; Erbarmen kennen sie nicht
    Verew'gen auf Papyrus oder Blatt
    Die Schatten von melodischem Ausdruck.
    Doch sie leben, träumen, sterben ohne Lorbeerkranz;
    Denn Poesie allein kann ihre Träume nennen,
    Kann mit der Worte Zauberbann allein
    Retten die Phantasie vor falschem Schein
    Und dumpfer Verzückung. Welch Lebender kann sagen:
    ›Du bist kein Dichter, darfst den Traum nicht schildern‹?
    Hat jeder Mensch doch, dessen Seel nicht stumpf
    Visionen, die er schreiben würde,
    War er in seiner Muttersprach bewandert.
    Ob dieser Traum, des Anbeginn nun folgt,
    Von Dichter oder Besessenem erdacht, wird erst,
    ist diese warme Hand im Grab, ersichtlich sein.«
     
    »Das verstehe ich nicht«, sagte ich. »Was bedeutet es?«
    »Es bedeutet«, sagte Johnny und lächelte sanft, »daß ich weiß, welche Entscheidung ich getroffen habe, und warum. Ich wollte kein Cybrid mehr sein, sondern ein Mensch werden. Ich wollte nach Hyperion. Das will ich immer noch.«
    »Und vor einer Woche hat dich jemand wegen dieser Entscheidung getötet«, sagte ich.
    »Ja.«
    »Und du wirst es wieder versuchen?«
    »Ja.«
    »Warum überträgst du hier kein Bewußtsein in deinen Cybrid? Wirst im Netz zum Menschen?«
    »Das würde niemals funktionieren«, sagte Johnny. »Was du als komplexe interstellare Gesellschaft ansiehst, ist nur ein kleiner Teil der Realitätsmatrix des Core. Ich würde ständig mit den KIs konfrontiert und deren Barmherzigkeit ausgeliefert sein. Die Keats-Persönlichkeit ... Realität ... würde nie überleben.«
    »Also gut«, sagte ich, »du mußt das Netz verlassen. Aber es gibt noch andere Kolonien. Warum Hyperion?«
    Johnny nahm meine Hand. Seine Finger waren lang und warm und kräftig. »Verstehst du denn nicht, Brawne? Da besteht ein Zusammenhang. Es könnte durchaus sein, daß Keats' Träume von Hyperion eine Art von transtemporaler Kommunikation zwischen seiner damaligen Persönlichkeit und seiner heutigen Persönlichkeit gewesen sind. Hyperion ist das entscheidende Geheimnis unserer Zeit – physisch und poetisch –, und es wäre durchaus möglich, daß er ... daß ich geboren wurde, starb und wiedergeboren wurde, um es zu erforschen.«
    »Hört sich nach Irrsinn an«, sagte ich. »Nach Größenwahnsinn.«
    »Mit ziemlicher Sicherheit«, sagte Johnny lachend.
    »Und ich bin noch nie glücklicher gewesen!« Er ergriff meine Hände, zog mich auf die Füße und schlang die Arme um mich. »Willst du mich begleiten, Brawne? Mit mir nach Hyperion kommen?«
    Ich blinzelte überrascht, sowohl über seine Frage wie auch die Antwort, die mich wie Wärme durchpulste: »Ja«, sagte ich. »Ich komme mit.«
    Danach begaben wir uns in den Schlafteil und liebten uns den Rest des Tages, und schließlich schliefen wir und erwachten im trüben Licht von Schicht drei im Industriegraben draußen. Johnny lag auf dem Rücken, hatte die mandelbraunen Augen offen und sah gedankenverloren zur Decke. Aber nicht so verloren, daß er nicht gelächelt und die Arme um mich gelegt hätte. Ich rieb die Wange an ihm, kuschelte mich in die Mulde, wo die Schulter in die Brust übergeht und schlief wieder ein.
     
    Ich trug meine beste Kleidung – einen Anzug aus schwarzem Cord, eine Bluse aus Renaissanceseide und einen Blutstein von Carvnel um den Hals, einen schrägen

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