Die Hyperion-Gesänge 01 - Hyperion
sondern erweiterte seine Abmessungen, so daß wir einen Halbkreis von Männern sehen konnten. Ich erinnerte mich, manche wurden Exorzisten und manche Lehrer genannt und dann gab es noch eine Kategorie, die ich vergessen hatte. Wer immer sie waren, es war erschreckend, sie so dastehen zu sehen, mindestens zwei Dutzend, mit roten und schwarzen Roben und im Licht von oben rötlich leuchtenden Stirnen. Es fiel mir nicht schwer, den Bischof zu erkennen. Er stammte von meiner Welt, doch war er kleiner und dicker als die meisten von uns, und sein Talar war leuchtend rot.
Ich versuchte nicht, den Schocker zu verstecken. Falls sie beschlossen, alle auf einmal über uns herzufallen, hätte ich sie möglicherweise alle niederstrecken können. Möglich, aber nicht wahrscheinlich. Ich konnte keine Waffen sehen, aber sie konnten Arsenale unter ihren Gewändern versteckt haben.
Johnny ging auf den Bischof zu, ich folgte ihm. Zehn Schritte vor dem Mann entfernt blieb er stehen. Der Bischof war der einzige, der nicht stand. Sein Stuhl bestand aus Holz und sah aus, als könnte man ihn zusammenklappen, so daß die kunstvoll geschnitzten Armlehnen, Sitzfläche, Rückenlehne und Beine in kompakter Form getragen werden konnten. Das konnte man von den Massen an Muskeln und Fett unter dem Talar des Bischofs leider nicht sagen.
Johnny ging noch einen Schritt weiter. »Warum haben Sie versucht, meinen Cybrid zu entführen?« Er sprach mit dem heiligen Mann des Shrike-Kults, als wären wir anderen gar nicht da.
Der Bischof kicherte und schüttelte den Kopf. »Mein liebes ... Wesen ... es stimmt, wir haben deine Anwesenheit in unserem Ort der Anbetung gewünscht, aber du hast keine Beweise, daß wir in eine versuchte Entführung verwickelt sind.«
»Mich interessieren keine Beweise«, sagte Johnny. »Ich bin nur neugierig, warum Sie mich hier haben wollen.«
Ich hörte ein Rascheln hinter uns und wirbelte mit schußbereitem Schocker herum, aber der breite Kreis der Priester des Shrike blieb reglos. Die meisten waren außerhalb der Reichweite des Schockers. Ich wünschte mir, ich hätte die Projektilwaffe meines Vaters mitgebracht.
Die Stimme des Bischofs war tief und volltönend und schien durch den ganzen Saal zu dringen. »Dir ist sicher bewußt, daß die Kirche der Letzten Buße ein großes und anhaltendes Interesse an der Welt Hyperion hat.«
»Ja.«
»Und dir ist sicher auch bewußt, daß die Person des Dichters Keats der Alten Erde im Verlauf der letzten Jahrhunderte in den kulturellen Mythos der Kolonie Hyperion eingeflochten worden ist?«
»Ja. Und?«
Der Bischof rieb sich mit einem großen roten Ring an einem Finger die Wange. »Daher haben wir zugestimmt, als du ersucht hast, an einer Pilgerfahrt zum Shrike teilzunehmen. Wir waren betroffen, als du das Angebot rückgängig gemacht hast.«
Johnnys fassungsloser Gesichtsausdruck war fast menschlich. »Ich habe das angeboten? Wann?«
»Vor acht hiesigen Tagen«, sagte der Bischof. »In diesem Saal. Du hast den Vorschlag an uns herangetragen.«
»Habe ich gesagt, daß ich die ... die Pilgerfahrt zum Shrike mitmachen wollte?«
»Du hast gesagt ... ich glaube, der Ausdruck, den du gebraucht hast, lautete genau, ›wichtig für deine Ausbildung‹ Wir können dir die Aufzeichnungen zeigen, wenn du möchtest. Alle diesbezüglichen Gespräche im Tempel werden aufgezeichnet. Oder du kannst eine Überspielung der Aufzeichnung haben, damit du sie nach eigenem Gutdünken ansehen kannst.«
»Ja«, sagte Johnny.
Der Bischof nickte, worauf ein Altardiener, oder was auch immer, für einen Moment in der Düsternis verschwand und mit einem Standardvideochip in der Hand zurückkehrte. Der Bischof nickte wieder, worauf der schwarzgekleidete Mann Johnny den Chip überreichte. Ich hielt den Schocker bereit, bis der Mann in den Halbkreis der Zuschauer zurückgekehrt war.
»Warum haben Sie uns Ihre Goondas nachgeschickt?« fragte ich. Ich sprach zum ersten Mal vor dem Bischof, und meine Stimme hörte sich zu laut und zu rauh an.
Der heilige Mann des Shrike gestikulierte mit einer feisten Hand. »M. Keats hat Interesse bekundet, an unserem heiligsten Pilgerzug teilzunehmen. Da wir der Überzeugung sind, daß die Letzte Buße mit jedem Tag näherrückt, ist dies von nicht geringer Bedeutung für uns. Unsere Agenten haben berichtet, daß M. Keats das Opfer eines oder mehrerer Anschläge geworden ist und daß eine gewisse Privatermittlerin ... Sie, M. Lamia ... dafür verantwortlich war, daß
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