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Die Hyperion-Gesänge 01 - Hyperion

Die Hyperion-Gesänge 01 - Hyperion

Titel: Die Hyperion-Gesänge 01 - Hyperion Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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sechsundzwanzig Stunden mit ihnen unterhalten, sie beobachtet, mir Notizen gemacht, wenn sie ihren zweistündigen nachmittäglichen ›Schlaf‹ halten, und mich ganz allgemein bemüht, soviel Daten wie möglich zu sammeln, bevor sie beschließen, mir die Kehle durchzuschneiden.
    Aber langsam komme ich zur Überzeugung, daß sie mir nichts tun werden.
    Ich habe gestern nach unserem › Schlaf‹ mit ihnen gesprochen. Manchmal antworten sie nicht auf Fragen, und manchmal sind ihre Antworten wenig mehr als Grunzlaute oder die widersprüchlichen Informationen, die man von geistig trägen Kindern bekommt. Nach ihrer anfänglichen Frage und knappen Einladung bei unserer Begegnung hat keiner von ihnen auch nur eine einzige weitere Frage oder Bemerkung an mich gerichtet.
    Ich befragte sie subtil, vorsichtig, zurückhaltend und mit der professionellen Ruhe des ausgebildeten Ethnologen. Ich stellte die einfachsten, sachlichsten Fragen, um zu gewährleisten, daß das Komlog ordentlich funktionierte. Das hat es. Aber selbst mit der Summe aller Antworten war ich noch so unwissend wie vor über zwanzig Stunden.
    Schließlich war ich körperlich und geistig erschöpft, ließ die professionelle Zurückhaltung sein und stellte der Gruppe, bei der ich war, die Frage: »Habt ihr meinen Begleiter getötet?«
    Meine drei Gesprächspartner sahen nicht von ihrer Weberei auf, die sie mit einem primitiven Webstuhl ausführten. »Ja«, antwortete derjenige, den ich Alpha genannt habe, weil er sich mir im Wald als erster genähert hatte, »wir haben deinem Begleiter mit scharfen Steinen die Kehle durchgeschnitten und haben ihn festgehalten und geknebelt, bis seine Gegenwehr aufhörte. Er ist den wahren Tod gestorben.«
    »Warum?« fragte ich nach einem Augenblick. Meine Stimme klang so trocken wie eine gedörrte Maisschote.
    »Warum er den wahren Tod gestorben ist?« sagte AIpha, der immer noch nicht aufsah. »Weil sein ganzes Blut ausgelaufen ist und er aufgehört hat zu atmen.«
    »Nein«, sagte ich. »Warum habt ihr ihn ermordet?«
    Alpha antwortete nicht, aber Betty – die möglicherweise weiblich und möglicherweise Alphas Lebensgefährtin ist – sah von ihrem Webstuhl auf und sagte einfach: »Damit er stirbt.«
    »Warum?«
    Die Antworten wurden unweigerlich wiederholt und vermochten mich ebenso unweigerlich kein Jota klüger zu machen. Nach vielen Fragen hatte ich erfahren, sie hatten Tuk getötet, damit er starb, und er war gestorben, weil er getötet worden war.
    »Was ist der Unterschied zwischen dem Tod und dem wahren Tod?« fragte ich schließlich, wobei ich weder dem Komlog noch meiner Beherrschung mehr vertraute.
    Del, der dritte Bikura, grunzte eine Antwort, die das Komlog folgendermaßen übersetzte: »Dein Begleiter ist den wahren Tod gestorben. Du nicht.«
    Schließlich brüllte ich in einer Frustration, die der Wut allzu nahe kam: »Warum nicht? Warum habt ihr mich nicht getötet?«
    Alle drei hörten mitten in ihrem hirnlosen Weben auf und sahen mich an. »Du kannst nicht getötet werden, weil du zur Kruziform gehörst und dem Weg des Kreuzes folgst.«
    Ich hatte keine Ahnung, weshalb die verfluchte Maschine Kreuz mit ›Kreuz‹ und im nächsten Augenblick mit ›Kruziform‹ übersetzte. Weil du zur Kruziform gehörst.
    Ein kalter Schauer durchlief mich, gefolgt vom Drang zu lachen. War ich in das Klischee alter Abenteuerholos hineingestolpert – der vergessene Stamm, der den ›Gott‹ anbetete, welcher in seinen Dschungel gestolpert war, bis der arme Kerl sich beim Rasieren oder sonstwo schneidet, worauf die Stammesmitglieder, beruhigt und ein wenig erleichtert ob der offensichtlichen Sterblichkeit ihres Besuchers, den einstigen Gott als Opfer darbringen?
    Das wäre komisch gewesen, hätte ich das Bild von Tuks blutleerem Gesicht und seiner roten, klaffenden Wunde nicht so deutlich vor Augen gehabt.
    Ihre Reaktion auf das Kreuz deutete eindeutig darauf hin, daß ich auf eine Gruppe Überlebender einer einst christlichen Kolonie – Katholiken? – gestoßen war, obwohl die Daten im Komlog behaupteten, daß sich an Bord des Saatschiffs, das vor vierhundert Jahren auf diesem Plateau notgelandet war, siebzig Kolonisten befunden hatten, die ausnahmslos Neo-Kerwin-Marxisten gewesen waren und den alten Religionen gleichgültig bis offen feindselig gegenüberstehen hätten sollen.
    Ich überlegte mir, ob ich das Thema als viel zu gefährlich fallenlassen sollte, aber mein dummer Drang zu wissen trieb mich an. »Betet ihr

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