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Die Hyperion-Gesänge 01 - Hyperion

Die Hyperion-Gesänge 01 - Hyperion

Titel: Die Hyperion-Gesänge 01 - Hyperion Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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absolut zu sein. Sie tragen die langen Roben, wenn sie wach sind und während ihres zweistündigen Mittagsschläfchens. Sie verlassen das Dorf, um zu urinieren und sich zu erleichtern, aber ich vermute, nicht einmal dazu ziehen sie die Gewänder aus. Sie scheinen nicht zu baden. Man sollte meinen, daß das zu Geruchsproblemen führt, aber diese Primitiven haben keinen Geruch an sich, abgesehen von einem leicht süßlichen Chalmaaroma. »Ihr müßt euch doch einmal ausziehen«, sagte ich eines Tages zu Alpha und warf die Feinfühligkeit zugunsten von Informationen über Bord. »Nein«, sagte AI und ging weg, um anderswo voll angezogen zu sitzen und nichts zu tun.
    Sie haben keine Namen. Anfangs erschien mir das unvorstellbar, aber jetzt weiß ich es sicher.
    »Wir sind alles, das war und sein wird«, sagte der kleinste Bikura, den ich als Frau betrachte und Eppie nenne. »Wir sind die Fünf Dutzend und Zehn.«
    Ich habe die Aufzeichnungen des Komlog abgerufen und mir bestätigen lassen, was ich vermutet habe: Von mehr als sechzehntausend bekannten menschlichen Gesellschaften ist keine einzige gelistet, wo es gar keine individuellen Namen gibt. Selbst in den Schwarmgesellschaften auf Lusus reagieren Individuen auf ihre Klassenkategorie, gefolgt von einem kurzen Code.
    Ich sage ihnen meinen Namen, und sie sehen mich an. »Pater Paul Duré, Pater Paul Duré«, wiederholt der Komlogübersetzer, aber es wird kein Versuch auch nur simpler Wiederholung unternommen.
    Abgesehen von ihrem Massenverschwinden jeden Tag vor Sonnenuntergang und der einheitlichen zweistündigen Schlafperiode, machen sie sehr wenig als Gruppe. Selbst ihre Wohnordnung scheint beliebig zu sein. AI verbringt eine Schlafperiode mit Betty, die nächste mit Garn, die dritte mit Zelda oder Pete. Kein System oder Plan ist ersichtlich. Jeden dritten Tag geht die ganze siebzigköpfige Gruppe in den Wald und kehrt mit Beeren, Chalmawurzeln und -rinde, Früchten und was sonst eßbar sein könnte, zurück. Ich war überzeugt, daß sie Vegetarier sind, bis ich gesehen habe, wie Del den Leichnam eines Baumaffenjungen gemampft hat. Der kleine Primat muß von den hohen Ästen abgestürzt sein. Es scheint demnach, als würden die Fünf Dutzend und Zehn Fleisch doch nicht verschmähen; sie sind schlichtweg zu dumm, um zu jagen und zu töten.
    Wenn die Bikura durstig sind, gehen sie fast dreihundert Meter zu einem Bach, der sich in die Kluft hinab ergießt. Trotz dieser Mühe gibt es keine Spur von Wasserschläuchen, Krügen oder irgendeiner Art von Töpferarbeiten. Ich bewahre meinen Wasservorrat in vierzig Liter fassenden Plastikkanistern auf, aber das beachten die Eingeborenen gar nicht. Bei meinem sinkenden Respekt vor diesen Menschen finde ich es nicht mehr unwahrscheinlich, daß sie Generationen in einem Dorf ohne verfügbare Wasserquelle zugebracht haben.
    »Wer hat die Häuser gebaut?« frage ich. Sie haben kein Wort für Dorf.
    »Die Fünf Dutzend und Zehn«, antwortet Will. Ich kann ihn von den anderen nur durch einen gebrochenen und nicht richtig verheilten Finger unterscheiden. Jeder hat mindestens ein solches Unterscheidungsmerkmal, aber manchmal denke ich, es wäre leichter, Krähen auseinanderzuhalten.
    »Wann haben sie sie gebaut?« frage ich, obwohl ich mittlerweile wissen müßte, daß eine Frage, die mit ›wann‹ anfängt, keine Antwort bekommen wird.
    Ich bekomme keine Antwort.
    Sie gehen jeden Abend in die Kluft. Die Ranken hinunter. Am dritten Abend habe ich versucht, diese Massenwanderung zu beobachten, aber sechs drehten sich vom Rand um und brachten mich sanft aber bestimmt zu meiner Hütte zurück. Das war die erste Tat der Bikura, die auf so etwas wie Aggression schließen ließ, und ich saß verdrossen in meiner Hütte, als sie gegangen waren.
    Als sie am nächsten Abend gingen, begab ich mich leise in meine Hütte und sah nicht einmal hinaus, aber als sie zurückgekehrt waren, holte ich Foto und Stativ, die ich am Rand aufgestellt gehabt hatte. Die Zeituhr hatte perfekt funktioniert. Die Holos zeigten die Bikura, die die Ranken ergriffen und so behende wie die kleinen Baumwesen, die in den Chalma- und Wehrholzwäldern hausen, die Wand der Klippe hinunterkletterten. Dann verschwanden sie unter dem Überhang.
    »Was macht ihr, wenn ihr jeden Abend die Klippe hinunter klettert?« fragte ich AI am nächsten Tag.
    Der Eingeborene sah mich mit diesem engelsgleichen Buddhalächeln an, das ich so sehr hassen gelernt habe. »Du gehörst zur

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