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Die Hyperion-Gesänge 01 - Hyperion

Die Hyperion-Gesänge 01 - Hyperion

Titel: Die Hyperion-Gesänge 01 - Hyperion Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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berührte kalt Kassads linken Arm, ihr Schenkel warm sein rechtes Bein. Der Sonnenschein war eine Weihe. Verborgene Farben stiegen zur Oberfläche von allem. Kassad drehte den Kopf und sah sie an, während ihr Kopf auf seiner Schulter lag. Erregung und herbstlicher Sonnenschein röteten ihre Wangen, ihr Haar berührte seinen Oberarm wie Kupferdrähte. Sie krümmte einen Schenkel über seine Beine, und Kassad spürte den Uhrwerkmechanismus neuerlichen Verlangens. Die Sonne schien ihm warm ins Gesicht. Er machte die Augen zu.
    Als er aufwachte, war sie fort. Er war gewiß, daß nur Sekunden verstrichen waren – sicher nicht mehr als eine Minute, aber der Sonnenschein war dahin, die Farben aus dem Wald herausgeflossen, ein kühler Abendwind strich durch die kahlen Äste.
    Kassad zog die zerrissenen, vor Blut steifen Kleidungsstücke an. Der französische Ritter lag starr und reglos in der achtlosen Pose des Todes. Er schien bereits zu zerfallen, ein Bestandteil des Waldes. Von der Frau war keinerlei Spur zu sehen.
    Fedmahn Kassad hinkte durch den Wald, die abendliche Dämmerung und einen plötzlichen, kalten Nieselregen zurück.
    Auf dem Schlachtfeld befanden sich noch Menschen, lebende und tote. Die Toten lagen da wie die Zinnsoldaten, mit denen Kassad als Kind gespielt hatte. Verwundete zogen langsam mit Unterstützung von Freunden ab. Hie und da schlichen verstohlene Gestalten zwischen den Toten herum, und nahe dem gegenüberliegenden Waldrand beratschlagte eine Gruppe Geschichtsschreiber – Franzosen und Engländer gleichermaßen – mit viel Getue und Gesten. Kassad wußte, sie mußten sich auf einen Namen für die Schlacht einigen, damit ihre jeweiligen Aufzeichnungen übereinstimmten. Er wußte auch, daß sie sich auf den Namen des nächstgelegenen Schlosses einigen würden, Agincourt, obwohl es weder strategisch noch in den Kampfhandlungen eine Rolle gespielt hatte.
    Kassad glaubte immer mehr, daß dies gar keine Simulation war, daß sein Leben im Weltennetz ein Traum war und dieser graue Tag die Wirklichkeit sein mußte, als plötzlich der ganze Schauplatz erstarrte und die Umrisse von menschlichen Gestalten, Pferden und dem dunklen Wald so durchscheinend wie ein verblassendes Holo wurden. Und dann wurde Kassad aus dem Simulationshort herausgeholfen, und die anderen Kadetten und Ausbilder standen ebenfalls auf, redeten miteinander, lachten – und keiner schien mitbekommen zu haben, daß sich die Welt für immer verändert hatte.
     
    Sechs Wochen lang verbrachte Kassad jede freie Stunde damit, über das Gelände der Militärakademie zu schlendern und beobachtete von der Brustwehr, wie der abendliche Schatten des Mons Olympus zuerst auf den Wald des Plateaus fiel, dann auf die dichtbesiedelten Hochländer, dann auf alles bis halb zum Horizont und schließlich über die ganze Welt. Und in jeder freien Sekunde dachte er daran, was vorgefallen war. Er dachte an sie.
    Niemand sonst hatte etwas Seltsames in der Simulation bemerkt. Niemand hatte das Schlachtfeld verlassen. Ein Ausbilder erklärte, daß in dieser speziellen Simulation nichts außer dem Schlachtfeld existierte. Niemand hatte Kassad vermißt. Es war, als wären der Zwischenfall im Wald – und die Frau – nie passiert.
    Kassad wußte es besser. Er besuchte den Unterricht in Militärgeschichte und Mathematik. Er absolvierte seine Stunden auf dem Schießstand und in der Sporthalle. Er brachte die Strafen auf dem Caldera Quadrangle hinter sich, doch diese waren selten. Ganz allgemein wurde der junge Kassad ein noch exzellenterer Offiziersanwärter, als er vorher gewesen war. Aber die ganze Zeit wartete er. Und dann kam sie wieder.
     
    Wieder geschah es in den letzten Stunden einer MAO:HTN-Simulation. Inzwischen hatte Kassad gelernt, daß die Übungen mehr als nur Simulationen waren. Das MAO:HTN war Teil vom All-Wesen des Weltennetzes, dieses Echtzeit-Netzes, welches die Hegemoniepolitik bestimmte, den Milliarden und Abermilliarden von datenhungrigen Bürgern Informationen fütterte und eine Form von Autonomie und eigenständigem Bewußtsein entwickelt hatte. Mehr als hundertfünfzig planetare Datensphären vereinten ihre Ressourcen innerhalb des von sechstausend KIs der Omegaklasse geschaffenen Rahmens, der die Funktion des MAO:HTN ermöglichte.
    »Dieses HTN-Ding simuliert nicht«, winselte Kadett Radinski, der beste KI-Experte, den Kassad finden und durch Bestechung dazu bringen konnte, es ihm zu erklären, »es träumt – Träume mit der besten

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