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Die Hyperion-Gesänge 01 - Hyperion

Die Hyperion-Gesänge 01 - Hyperion

Titel: Die Hyperion-Gesänge 01 - Hyperion Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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historischen Genauigkeit im Netz, weit mehr als die Summe aller Teile, weil es holistische Einsichten ebenso einspeist wie Fakten –, und wenn es träumt, läßt es uns mit sich träumen.«
    Kassad hatte es nicht begriffen, aber er hatte es geglaubt. Und dann kam sie wieder.
    Im ersten vietnamesisch-amerikanischen Krieg schliefen sie nach einem Hinterhalt zwischen der Dunkelheit und den Schrecken einer nächtlichen Patrouille miteinander. Kassad trug derbe Tarnkleidung – ohne Unterwäsche, damit er sich in der Dschungelhitze nicht wundscheuerte im Schritt – und einem Stahlhelm, der nicht wesentlich besser war als der von Agincourt. Sie trug einen schwarzen Pyjama und Sandalen, die Einheitskleidung der Bäuerinnen Südostasiens. Und des Vietkong. Als sie sich liebten, trug keiner etwas; sie standen in der Nacht, die Frau hatte den Rücken an einen Baum gelehnt und die Beine um Kassads Hüften geschlungen, während die Welt um sie herum im grünen Leuchten von Gefechtsfeldmarkierungen und dem Stakkato von Maschinengewehrfeuer unterging.
    Sie kam am zweiten Tag von Gettysburg zu ihm, und dann wieder in Borodino, wo Pulverqualmwolken über den Bergen von Leichen hingen wie der Dunst geronnener Seelen.
    Sie schliefen in der zertrümmerten Hülle eines APC in Hellas Basin miteinander, während der Schwebepanzerkrieg noch wütete und der rote Staub des heulenden Simum knirschend und kreischend gegen die Titanhaut prasselte. »Sag mir deinen Namen«, hatte er in Standard geflüstert. Sie schüttelte den Kopf. »Bist du real – außerhalb der Simulation?« fragte er im Japanoenglisch dieses Zeitalters. Sie hatte genickt und sich zu ihm gebeugt, um ihn zu küssen.
    Sie lagen nebeneinander an einer geschützten Stelle in den Ruinen von Brasilia, während Todesstrahlen von chinesischen EMVs wie blaue Suchscheinwerfer über zerschellte Keramik wände glitten. Während einer namenlosen Schlacht nach der Belagerung einer vergessenen Turmstadt in der russischen Steppe zog er sie in den schattigen Raum zurück, wo sie miteinander geschlafen hatten, und flüsterte: »Ich will bei dir bleiben.« Sie berührte seine Lippen mit einem Finger und schüttelte den Kopf. Nach der Evakuierung von Chicago, als sie auf dem Balkon im hundertsten Stock lagen, wo Kassad seinen Posten für das hoffnungslose Unterfangen der Rückendeckung für den letzten US-Präsidenten aufgeschlagen hatte, legte er die Hand auf die warme Haut zwischen ihren Brüsten und sagte: »Kannst du nie ... da draußen zu mir kommen?« Sie berührte seine Wange mit der Handfläche und lächelte.
    Im letzten Jahr der Militärakademie wurden nur fünf MAO:HTN-Sims angeboten, da sich die Ausbildung der Kadetten auf echte Gefechtsübungen verlagerte. Manchmal, wenn Kassad während einer Bataillonslandung auf Ceres in den Kommandostuhl geschnallt war, machte er die Augen zu, sah zwischen die primärfarbenen Geographien der kortikal erzeugten Taktik/Terrain-Matrix und spürte das Gefühl von ... jemand? Von ihr? Er war nicht sicher.
    Dann kam sie nicht mehr. Nicht in den letzten Monaten seiner Arbeit. Nicht in der letzten Simulation der großen Schlacht im Kohlensack, wo die Meuterei von General Horace Glennon-Height niedergeschlagen wurde. Nicht während der Paraden und Parties der Abschlußprüfungen, und auch nicht, als die ganze Klasse der Kadetten eine letzte olympische Parade vor dem Präsidenten der Hegemonie ausführte, der von seinem rot erleuchteten Levitationsdeck salutierte.
    Und nicht einmal zum Träumen blieb Zeit, als die jungen Offiziere zur Masada-Zeremonie zum Erdmond farcastet wurden, und anschließend nach Tau Ceti Center, wo sie formell auf FORCE vereidigt wurden, was das Ende ihrer Ausbildung bedeutete.
    Der Zweite Leutnant Kadett Kassad wurde Leutnant Kassad, verbrachte drei Wochen mit einer auf FORCE ausgestellten Universalkarte, die es ihm ermöglichte, im Welten-Netz so weit und oft zu farcasten, wie er wollte, und wurde dann zum Ausbildungszentrum für den Kolonialdienst auf Lusus geschickt, wo er sich auf den aktiven Dienst außerhalb des Netzes vorbereiten sollte. Er war überzeugt, daß er sie nie wiedersehen würde.
    Er irrte sich.
     
    Fedmahn Kassad war in einer Zivilisation der Armut und des plötzlichen Todes aufgewachsen. Als Mitglieder einer Minderheit, die sich immer noch Palästinenser nannte, hatten er und seine Familie in den Elendsvierteln von Tharsis gelebt, einem menschlichen Zeugnis für das bittere Ende der ewig Besitzlosen. Jeder

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