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Die Hyperion-Gesänge 01 - Hyperion

Die Hyperion-Gesänge 01 - Hyperion

Titel: Die Hyperion-Gesänge 01 - Hyperion Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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lauschen. Kassad überlegte sich, daß dies taktisch gesehen keine brillante Vorgehensweise war; der Franzose hatte Rüstung und Schwert getragen und konnte seine Panik jeden Augenblick vergessen, den vorübergehenden Verlust der Ehre bedauern und sich an seine Jahre der Gefechtsausbildung erinnern. Kassad war ebenfalls ausgebildet. Er betrachtete sein Stoffhemd und die Lederweste. Die Streitaxt hatte er noch in der Hand, das Messer im breiten Gürtel. Er war ausgebildet worden, Hochenergiewaffen mit einer Reichweite von wenigen Metern bis zu Tausenden von Kilometern zu bedienen. Er konnte mit Plasmagranaten umgehen, mit Höllenpeitschen, Fleschettgewehren, Ultraschallpistolen, rückstoßfreien Null-ge-Waffen, Todesstrahlern, kinetischen Angriffsgewehren und Strahlenfächern. Jetzt wußte er auch, wie ein englischer Langbogen funktionierte. Aber nichts davon – nicht einmal den Langbogen – hatte er im Augenblick bei sich.
    »O Scheiße«, murmelte der Zweite Leutnant Kassad.
    Der Ritter kam aus den Büschen wie ein angreifender Bär, Arme erhoben, Beine gespreizt, und schwang das Schwert in einem Halbkreis, mit dem er Kassad ausweiden wollte. Der Kadett der Militärakademie versuchte, nach hinten zu springen und gleichzeitig die Streitaxt zu heben. Keiner der beiden Versuche war ganz erfolgreich. Das Schwert des Franzosen schlug Kassad die schwere Axt aus der Hand, während die stumpfe Schwertspitze durch Leder, Hemd und Haut ritzte.
    Kassad heulte und stolperte weiter rückwärts, wobei er am Messer in seinem Gürtel zerrte. Er stolperte mit dem rechten Absatz über den Zweig eines umgestürzten Baums, kippte nach hinten, fluchte und rollte sich tiefer in die Zweige, während der Ritter auf ihn zugestapft kam und mit dem Schwert Zweige wie mit einer großen Machete abmähte. Bis der Mann sich einen Weg durch die Zweige gebahnt hatte, hatte Kassad das Messer gezückt, aber die zehn Zoll lange Klinge war eine armselige Waffe gegen eine Rüstung, wenn der Ritter nicht hilflos war. Dieser Ritter war nicht hilflos. Kassad wußte, daß er ihm niemals näher als der Reichweite seines Schwertes kommen würde. Seine einzige Hoffnung war die Flucht, aber der Stamm des umgestürzten Baums hinter ihm und das anschließende Dickicht schlössen diese Möglichkeit aus. Er wollte sich nicht von hinten aufschlitzen lassen, wenn er sich umdrehte. Auch nicht von unten, wenn er kletterte. Kassad wollte überhaupt nicht aus irgendeiner Richtung aufgeschlitzt werden.
    Kassad nahm die geduckte Haltung eines Messerkämpfers ein, die er seit seiner Zeit der Straßenkämpfe in den Elendsvierteln von Thar sis nicht mehr benützt hatte. Er überlegte sich, wie die Simulation auf seinen Tod reagieren würde.
    Die Gestalt erschien hinter dem Ritter wie ein plötzlicher Schatten. Das Geräusch, als Kassads Streitaxt die gepanzerte Schulter des Mannes traf, hörte sich genau so an, als würde jemand die Haube eines EMV mit einem Vorschlaghammer bearbeiten.
    Der Franzose taumelte, drehte sich zu der neuen Bedrohung um und bekam einen zweiten Axthieb gegen die Brust. Kassads Retter war schlank; der Ritter fiel nicht. Er hob das Schwert über den Kopf, als Kassad ihm die Schulter in die Kniekehlen rammte.
    Zweige brachen ab, als der Franzose stürzte. Der kleine Angreifer stand breitbeinig über ihm, drückte den Schwertarm mit einem Fuß auf den Boden und schlug mit der Axt mehrmals auf Helm und Visier. Kassad befreite sich aus dem Wirrwarr von Beinen und Zweigen, setzte sich auf die Knie des gestürzten Ritters und stieß das Messer durch Lücken der Rüstung am Unterleib, den Flanken und den Unterarmen. Kassads Retter sprang beiseite, stellte beide Füße auf die Handgelenke des Ritters, und Kassad stolperte vorwärts, stieß in Ritzen, wo der Helm auf dem Schulterpanzer ruhte, und rammte das Messer zuletzt durch die Schlitze im Visier selbst.
    Der Ritter schrie, als die Streitaxt noch einmal auf ihn niedersauste und dabei fast Kassads Hand abhackte, als er die Messerklinge in den Visierschlitz rammte wie einen zehn Zoll langen Zelthering. Der Ritter bäumte sich auf, hob Kassad und sechzig Pfund Rüstung in einer letzten gewaltsamen Zuckung vom Boden hoch und sank dann schlaff zurück.
    Kassad rollte sich auf die Seite. Sein Retter brach neben ihm zusammen. Beide waren von Schweiß und dem Blut des Toten besudelt. Kassad betrachtete seinen Retter. Es war eine Frau, groß und mit Kleidungsstücken angezogen, die denen Kassads nicht unähnlich

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