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Die Hyperion-Gesänge 01 - Hyperion

Die Hyperion-Gesänge 01 - Hyperion

Titel: Die Hyperion-Gesänge 01 - Hyperion Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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klappte das Visier hoch und rief eine vernehmliche Bitte nach einem ehrenhaften Zweikampf. Der alte Mann und der junge umkreisten ihn wie Wölfe. Kassad kam mit dem Bogen dazu und schoß dem Ritter aus zehn Schritt Entfernung einen Pfeil ins linke Auge.
    Die Schlacht ging in der tödlichen Manier einer komischen Oper weiter, die seit den ersten Duellen mit Steinen und Oberschenkelknochen auf der Alten Erde jedem Gefecht eigen war. Es gelang der französischen Kavallerie, zu wenden und sich zurückzuziehen, als gerade die erste Woge von zehntausend bewaffneten Männern zu Fuß gegen das englische Zentrum stürmte. Das Durcheinander brach den Rhythmus des Kampfes, und als die Franzosen wieder die Initiative übernommen hatten, war es Heinrichs eigenen Bewaffneten gelungen, sie auf Lanzenlänge zu halten, während Kassad und mehrere tausend Bogenschützen aus kürzester Entfernung Pfeilsalven in die massierte französische Infanterie zischen ließen.
    Damit war die Schlacht freilich nicht zu Ende. Es war nicht einmal unbedingt der entscheidende Augenblick. Als der Wendepunkt schließlich kam, ging er – wie alle derartigen Augenblicke – in Staub und Tumult von tausend individuellen Kämpfen unter, wo Infanteriesoldaten einander auf Reichweite ihrer jeweiligen Waffen gegenüberstanden. Bis es drei Stunden später endgültig vorbei war, gab es kaum Variationen altbekannter Themen, wirkungslose Angriffe und Gegenangriffe und ein alles andere als ehrbarer Augenblick, als Heinrich befahl, die Gefangenen zu töten, statt sie zurückzulassen, als die Engländer mit einer neuen Bedrohung konfrontiert wurden. Aber die Geschichtsschreiber und Historiker sollten sich später darin einig sein, daß die Entscheidung irgendwann im Wirrwarr des ersten Angriffs der französischen Infanterie gefallen war. Die Franzosen starben zu Tausenden, die englische Herrschaft über diesen Teil des Kontinents würde noch eine Weile andauern. Der Tag der bewaffneten Männer in Rüstungen, des Ritters, der Verkörperung von Tapferkeit, war vorbei – ein paar tausend zerlumpte Bauernbogenschützen mit Langbogen hatten ihn in den Sarg der Geschichte genagelt. Die allerletzte Beleidigung für die adligen französischen Toten – wenn man die Toten überhaupt noch weiter beleidigen konnte – lag in der Tatsache begründet, daß die englischen Bogenschützen nicht nur gewöhnliches Volk waren, gewöhnlich im niedersten, verlaustesten Sinn des Wortes, sondern obendrein Einberufene. Stoppelhopser. GIs. Kanonenfutter. Spezzes. K-techs. Sprungratten.
    Doch das alles gehörte zur Lektion, die Kassad während dieser MAO:HTN-Übung lernen sollte. Er lernte nichts davon. Er war zu sehr damit beschäftigt, eine Begegnung zu haben, die sein Leben verändern sollte.
     
    Der französische Reiter flog über den Kopf seines stürzenden Pferdes, rollte sich einmal ab und war aufgesprungen und in Richtung Wald davongerannt, bevor der aufgespritzte Schlamm wieder zu Boden gefallen war. Kassad folgte. Er hatte die Hälfte der Strecke zum Waldrand zurückgelegt, als er feststellte, daß der Junge und der grauhaarige Bogenschütze nicht mit ihm gekommen waren. Einerlei. Kassads Adrenalin floß in Strömen, der Blutrausch hatte ihn gepackt.
    Der Bewaffnete, der gerade von einem Pferd in gestrecktem Galopp zu Boden geworfen worden war und der eine sechzig Pfund schwere, ihn unbeholfen machende Rüstung trug, hätte eigentlich eine leichte Beute sein sollen. Aber das war er nicht. Der Franzose sah sich einmal um, sah Kassad in vollem Lauf mit einer Streitaxt in der Hand und Mordlust in den Augen auf sich zugerannt kommen, legte noch einmal einen Zahn zu und erreichte den Waldrand fünfzehn Meter vor seinem Verfolger.
    Kassad war schon tief im Wald, ehe er stehenblieb, sich auf die Streitaxt lehnte und keuchend seine Lage überdachte. Poltern, Schreie und Klirren vom Schlachtfeld hinter ihm wurden durch Entfernung und Gestrüpp gedämpft. Die Bäume waren fast kahl und tropften noch von dem Gewitter der vergangenen Nacht; der Waldboden war von einem dicken Teppich abgefallenen Laubes, Dornranken und Büschen bedeckt. Der Soldat hatte die ersten zwanzig Meter oder so eine Spur von abgebrochenen Zweigen und Fußstapfen hinterlassen, aber jetzt machten es Wildpfade und zugewucherte Wege schwer, seinen Spuren zu folgen.
    Kassad schritt vorsichtig tiefer in den Wald und versuchte, über seinem Keuchen und dem Klopfen seines Herzens auf jedes ungewöhnliche Geräusch zu

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