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Die Hyperion-Gesänge 02 - Der Sturz von Hyperion

Die Hyperion-Gesänge 02 - Der Sturz von Hyperion

Titel: Die Hyperion-Gesänge 02 - Der Sturz von Hyperion Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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wach ist, sich aber nicht bewegt, und sonst nichts innerhalb des Erfassungsbereichs.
    Kassad entsichert die Waffe und geht mit großen Schritten seiner langen Beine rasch weiter. In diesem Augenblick würde er alles geben, wenn er Zugang zu einem Ortungssat hätte, wenn seine taktischen Kanäle vollständig wären und er sich nicht mit diesem Teilbild einer bruchstückhaften Situation begnügen müßte. Er zuckt in seinem Schutzpanzer die Achseln und geht weiter.
     
    Brawne Lamia schafft die letzten fünfzehn Meter ihres Ausflugs zum Jadegrab fast nicht. Der Wind hat mittlerweile orkanartige Wucht angenommen und schiebt sie voran, so daß sie zweimal den Halt verloren hat und der Länge nach in den Sand gestürzt ist. Inzwischen blitzt es auch richtig, gewaltige Explosionen, die den Himmel zerreißen und das leuchtende Grab vor ihr erhellen. Zweimal versucht sie, Hoyt, Kassad oder die anderen zu rufen, weil sie sicher ist, daß niemand im Lager bei diesem Lärm schlafen kann, aber Komlog und Implantat liefern ihr nur Statik und ihr Kanalsuchlauf Gebrabbel. Nach dem zweiten Sturz richtet sich Lamia auf die Knie auf und sieht sich um; seit dem kurzen Blick auf jemand, der sich dem Eingang näherte, hat sie keine Spur mehr von Hoyt gesehen.
    Lamia umklammert die Automatik ihres Vaters, steht auf und läßt sich die letzten zwanzig Meter vom Wind wehen. Vor dem Eingangshalbkreis verweilt sie.
    Mag es am Sturm und den elektrischen Entladungen oder an etwas anderem liegen, jedenfalls leuchtet das Jadegrab in einem hellen Giftgrün, das die Dünen färbt und ihrer Haut das Aussehen von etwas aus dem Grab verleiht. Lamia unternimmt einen letzten Versuch, jemanden mit ihrem Komlog zu empfangen, dann betritt sie das Grab.
     
    Pater Lenar Hoyt von der zwölfhundert Jahre alten Gesellschaft Jesu, Angehöriger des Neuen Vatikan auf Pacem und loyaler Diener Seiner Heiligkeit Papst Urban XVI. kreischt Obszönitäten.
    Hoyt geht in seinen großen Schmerzen unter. Die geräumigen Säle beim Eingang des Jadegrabs sind schmaler geworden, der Gang hat sich so oft in sich selbst zurückgewunden, daß Pater Hoyt sich jetzt in einer Reihe von Katakomben verirrt hat und zwischen grün leuchtenden Wänden in einem Labyrinth umherirrt, das er nach den Erkundigungen des heutigen Tages und anhand der Karten im Lager nicht mehr im Gedächtnis hat. Die Schmerzen – Schmerzen, die seit Jahren sein Begleiter sind, Schmerzen, die er ertragen muß, seit der Stamm der Bikura ihm die beiden Kruziformen eingepflanzt hat, seine eigene und die von Paul Duré – drohen ihn mit ihren neuen Höhen in den Wahnsinn zu treiben.
    Der Gang wird wieder schmaler. Lenar Hoyt schreit, was er nicht mehr mitbekommt, und er merkt auch nicht mehr, welche Worte er schreit – Worte, die er seit seiner Kindheit nicht mehr benützt hat. Er möchte Erlösung.
    Erlösung von den Schmerzen. Erlösung von der Bürde, Pater Durés DNS, seine Persönlichkeit ... Durés Seele ... in Form dieses kreuzförmigen Parasiten auf dem Rücken mit sich herumschleppen zu müssen. Und davon, daß er den schrecklichen Fluch seiner eigenen besudelten Auferstehung in der Kruziform auf der Brust mit sich trägt.
    Doch selbst während Hoyt schreit, ist ihm bewußt, daß ihn nicht die inzwischen toten Bikura zu diesen Schmerzen verurteilt haben; der verlorene Stamm von Kolonisten, die so viele Male von ihren eigenen Kruziformen wiedererweckt worden sind, daß sie Idioten geworden waren, lediglich Träger ihrer eigenen DNS und der ihrer Parasiten, hat ebenfalls aus Priestern bestanden ... Priestern des Shrike.
    Pater Hoyt von der Gesellschaft Jesu hat eine Phiole Weihwasser mitgebracht, die Seine Heiligkeit persönlich gesegnet hat, eine im Verlauf einer Feierlichen Hohen Messe geweihte Eucharistie und eine Kopie des uralten Kirchenrituals des Exorzismus. Das alles ist inzwischen vergessen in einer Perspexkugel in einer Tasche seines Mantels versiegelt.
    Hoyt stolpert gegen eine Wand und schreit wieder. Der Schmerz ist mittlerweile eine unbeschreibliche Macht geworden, gegen die die ganze Ampulle Ultramorphin, die er erst vor fünfzehn Minuten gespritzt hat, nichts mehr ausrichten kann. Pater Hoyt schreit und zerrt an der Kleidung, reißt sich den schweren Mantel vom Leib, die schwarze Soutane mit dem Priesterkragen, Hemd, Hosen und Unterwäsche, bis er nackt und vor Schmerzen und Kälte zitternd in den leuchtenden Korridoren des Jadegrabs steht und Flüche und Verwünschungen in die Nacht

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