Die Hyperion-Gesänge 02 - Der Sturz von Hyperion
mich sonst noch wegen etwas sprechen?«
Gladstone lächelte wieder, und ich spürte, daß dies ein aufrichtiges Lächeln war, und nicht die Waffe der Politik, von der sie so ausgezeichnet Gebrauch zu machen verstand. »Ja«, sagte sie. »Ich habe noch ein Anliegen. Würden Sie gerne nach Hyperion gehen? Dem wirklichen Hyperion?«
»Dem wirklichen Hyperion?« wiederholte ich dümmlich. Ich spürte, wie meine Fingerspitzen und Zehen kribbelten und eine seltsame Erregung über mich kam. Mein Bewußtsein mochte in Wirklichkeit schon im Core wohnen, aber mein Körper und Gehirn waren allzu menschlich, allzu anfällig für Adrenalin und andere Zufallschemikalien.
Gladstone nickte. »Millionen Menschen möchten dorthin. Auf eine neue Welt farcasten. Den Krieg aus nächster Nähe sehen.« Sie seufzte und drehte ihren Arbeitstaster. »Die Idioten.« Sie sah wieder zu mir auf, und ihre braunen Augen waren ernst. »Aber ich möchte, daß jemand dorthin reist und mir persönlich Bericht erstattet. Leigh benützt heute vormittag eines der neuen militärischen Farcasterterminals, und ich habe gedacht, Sie könnten ihn begleiten. Es ist vielleicht keine Zeit, auf dem Planeten selbst zu landen, aber Sie wären immerhin im System.«
Mir fielen mehrere Fragen ein, aber die erste, die mir in den Sinn kam, war mir peinlich. »Wird es gefährlich sein?«
Weder Gladstones Ausdruck noch Tonfall veränderten sich. »Möglich. Aber Sie werden weit hinter den Linien sein, und Leigh hat Anweisung, weder sich selbst – noch Sie – einem offensichtlichen Risiko auszusetzen.«
Offensichtliches Risiko, dachte ich. Aber wie viele nicht ganz so offensichtliche Risiken konnte es in einem Kriegsgebiet geben – in der Nähe einer Welt, wo ein Wesen wie das Shrike auf freiem Fuß war. »Ja«, sagte ich. »Ich gehe. Aber da wäre noch eines ...«
»Ja?«
»Ich muß wissen, warum Sie möchten, daß ich gehe. Ich finde, wenn Sie nur wegen meiner Verbindung zu den Pilgern an mir interessiert sind, gehen Sie ein unnötiges Risiko ein, indem Sie mich wegschicken.«
Gladstone nickte. »M. Severn, es stimmt, daß mich Ihre – wenn auch vage – Verbindung zu den Pilgern interessiert. Aber es ist auch so, daß mich Ihre Eindrücke und Einschätzungen interessieren. Ihre Eindrücke.«
»Aber ich bin ein Risiko für Sie«, sagte ich. »Sie wissen nicht, wem ich sonst noch Bericht erstatte, absichtlich oder unabsichtlich. Ich bin ein Geschöpf des Techno-Core.«
»Ja«, sagte Gladstone, »aber Sie sind vielleicht auch das objektivste Geschöpf auf Tau Ceti Center in diesem Augenblick, möglicherweise im ganzen Netz. Und Ihre Eindrücke sind die eines begabten Dichters, eines Mannes, dessen Genie ich respektiere.«
Ich lachte bellend. »Er war ein Genie«, sagte ich. »Ich bin ein Simulacrum. Eine Drohne. Eine Karikatur.«
»Sind Sie ganz sicher?« fragte Gladstone.
Ich hielt die leeren Hände hoch. »Ich habe in den zehn Monaten, die ich in diesem seltsamen Nachleben bei Bewußtsein bin, keine einzige Zeile geschrieben«, sagte ich. »Ich denke nicht in Gedichtform. Ist das nicht Beweis genug, daß das Rekonstruktionsprojekt des Core gescheitert ist? Sogar mein falscher Name ist eine Beleidigung für einen Mann, der unendlich mehr Talent hatte, als ich je haben werde ... Joseph Severn war ein Schatten im Vergleich zum wahren John Keats, aber ich schmähe seinen Namen dadurch, daß ich ihn benütze.«
»Das mag sein«, sagte Gladstone. »Vielleicht auch nicht. Wie auch immer, ich habe gebeten, daß Sie M. Hunt auf diese kurze Reise nach Hyperion begleiten.« Sie machte eine Pause. »Sie sind nicht ... äh ... verpflichtet zu gehen. In mehr als einem Sinne sind Sie nicht einmal Bürger der Hegemonie. Aber es würde mich freuen, wenn Sie gingen.«
»Ich gehe«, wiederholte ich und hörte meine eigene Stimme wie aus weiter Ferne.
»Ausgezeichnet. Sie brauchen warme Kleidung. Tragen Sie nichts, das sich im freien Fall lösen und zu Peinlichkeiten führen könnte, obwohl ich nicht glaube, daß es dazu kommen wird. Sie treffen M. Hunt im Hauptfarcasternexus des Regierungshauses in ...« – sie sah auf die Uhr – »... zwölf Minuten.«
Ich nickte und drehte mich um.
»Oh, M. Severn ...«
Ich blieb unter der Tür stehen. Die alte Frau hinter dem Schreibtisch sah plötzlich klein und sehr müde aus.
»Danke, M. Severn«, sagte sie.
Es stimmte, daß Millionen ins Kriegsgebiet farcasten wollten. Das All-Wesen war erfüllt von schrillen
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