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Die Hyperion-Gesänge 02 - Der Sturz von Hyperion

Die Hyperion-Gesänge 02 - Der Sturz von Hyperion

Titel: Die Hyperion-Gesänge 02 - Der Sturz von Hyperion Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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Severn?«
    »Nein.«
    »Nun, dann wünsche ich Ihnen eine gute Nacht und angenehme Träume. Morgen wird ein hektischer Tag werden, aber ich möchte mich irgendwann einmal mit Ihnen über die Träume unterhalten.«
    »Gute Nacht«, sagte ich, machte auf dem Absatz kehrt und ging rasch zu meinem Flügel des Regierungshauses zurück.
    In meinem dunklen Zimmer rief ich eine Sonate von Mozart ab und nahm drei Trisekobarbitale. Sie würden mich höchstwahrscheinlich in einen drogeninduzierten, traumlosen Schlaf versetzen, wo der Geist des toten Johnny Keats und seine noch geisterhafteren Pilger mich nicht finden konnten. Ich wollte Meina Gladstone enttäuschen, und dieser Gedanke machte mich nicht im geringsten betroffen.
    Ich mußte an Swifts Seefahrer Gulliver denken, und den Ekel vor der Menschheit, den er nach seiner Rückkehr aus dem Land der intelligenten Pferde – der Houyhnhnms – empfand, einem Ekel vor seiner eigenen Rasse, der so schlimm wurde, daß er im Stall bei den Pferden schlafen mußte, um sich von ihrem Geruch und ihrer Anwesenheit trösten zu lassen.
    Mein letzter Gedanke, bevor ich einschlief, war: Zum Teufel mit Meina Gladstone, zum Teufel mit dem Krieg, und zum Teufel mit dem Netz!
    Und zum Teufel mit den Träumen!
     

ZWEITER TEIL
    16
     
    Brawne Lamia schlief bis kurz vor der Dämmerung unruhig, und ihre Träume wurden von Bildern und Tönen von anderswo heimgesucht – halb gehörte und kaum verstandene Gespräche mit Meina Gladstone, ein Raum, der im Weltraum zu schweben schien, Männer und Frauen in Bewegung in einem Korridor, dessen Wände wie schlecht eingestellte Fatlineempfänger tuschelten –, und unter diesen Fieberträumen und wahllosen Bildfetzen lag das aufreizende Gefühl, daß Johnny – ihr Johnny – so nahe war, so nahe. Lamia schrie im Schlaf auf, aber der Laut ging in den zufälligen Echos der abkühlenden Sphinx und dem wehenden Sand unter.
    Lamia erwachte plötzlich und kam so vollständig zu Bewußtsein wie ein Instrument, das eingeschaltet wird. Sol Weintraub hatte Wache halten sollen, aber der schlief neben der flachen Tür zu dem Raum, wo die Gruppe Unterschlupf gesucht hatte. Die kleine Rachel schlief zwischen Decken neben ihm auf dem Boden; sie hatte den Rumpf gehoben, das Gesicht gegen die Decke gedrückt und ein Speichelbläschen auf den Lippen.
    Lamia sah sich um. Im trüben Licht einer Niederwattleuchtkugel und dem schwachen Tageslicht, welches den vier Meter langen Korridor entlangschien, war nur einer der anderen Pilger sichtbar, ein dunkles Bündel auf dem Steinboden. Dort lag Martin Silenus und schnarchte. Lamia verspürte einen Anflug von Angst, als wäre sie im Schlaf allein gelassen worden. Silenus, Sol, das Baby ... sie stellte fest, daß nur der Konsul fehlte. Verluste hatten die Gruppe von sieben Pilgern und dem Baby dezimiert: Het Masteen war im Grasmeer vom Windwagen verschwunden; Lenar Hoyt war in der vergangenen Nacht getötet worden; Kassad war seit der Nacht vermißt ... der Konsul ... wo war der Konsul?
    Brawne Lamia sah sich noch einmal um, vergewisserte sich, daß sich in dem dunklen Raum nur Rucksäcke, zusammengerollte Decken, der schlafende Dichter und der Gelehrte nebst Kind befanden, dann stand sie auf, fand die automatische Pistole ihres Vaters zwischen den Decken, tastete in ihrem Rucksack nach dem Nervenschocker und schlüpfte an Weintraub und dem Baby vorbei in den angrenzenden Korridor.
    Es war Morgen und so hell draußen, daß Lamia die Augen mit den Händen abschirmen mußte, als sie von den Steinstufen der Sphinx auf den festgetretenen Pfad trat, der ins Tal hinabführte. Der Sturm war vorbei. Der Himmel Hyperions wies einen kristallenen Lapislazulifarbton mit vereinzelten grünen Flecken auf. Hyperions Stern war ein gleißender weißer Punkt, der gerade über der östlichen Felswand aufging. Felsschatten verschmolzen mit den verstreuten Silhouetten der Zeitgräber in der Talsohle. Das Jadegrab funkelte. Lamia sah die frischen Verwehungen und Dünen, die der Sturm hinterlassen hatte, weißer und karmesinroter Sand verschmolzen um Felsen herum zu sinnlichen Kurven und Schnörkeln. Von ihrem Lager in der vergangenen Nacht war keine Spur mehr zu sehen. Der Konsul saß auf einem Felsen zehn Meter unterhalb. Er sah ins Tal hinab, Rauch kräuselte sich aus seiner Pfeife. Lamia steckte die Pistole zum Schocker in die Tasche und ging den Hang hinab zu ihm.
    »Keine Spur von Oberst Kassad«, sagte der Konsul, als sie näher kam. Er drehte

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