Die Hyperion-Gesänge 02 - Der Sturz von Hyperion
Schimmer.
Lamia, Silenus, der Konsul, Weintraub und Duré, alle riefen sie nach Kassad, aber ihre Stimmen hallten und schallten vergebens.
»Keine Spur von Kassad oder Het Masteen«, sagte der Konsul, als sie wieder herauskamen. »Vielleicht ist das das Muster ... jeder von uns verschwindet, bis nur noch einer übrigbleibt.«
»Und wird diesem letzten sein Wunsch erfüllt, wie es die Legende der Kirche des Shrike behauptet?« fragte Brawne Lamia. Sie saß auf der Felssohle vor dem Palast des Shrike und ließ die kurzen Beine in der Luft baumeln.
Paul Duré hob das Gesicht himmelwärts. »Ich kann nicht glauben, daß es Pater Hoyts Wunsch war zu sterben, damit ich wieder leben kann.«
Martin Silenus sah blinzelnd zu dem Priester auf. »Und was wäre Ihr Wunsch, Padre?«
Duré zögerte nicht. »Ich würde mir wünschen ... beten ... daß Gott die Geißel der beiden Obszönitäten – Krieg und Shrike – ein für allemal von der Menschheit nimmt.«
Es folgte Schweigen, das der Nachmittagswind mit seinem fernen Seufzen und Stöhnen erfüllte. »Bis dahin«, sagte Brawne Lamia, »müssen wir etwas zu essen besorgen oder lernen, von Luft zu leben.«
Duré nickte. »Warum haben Sie so wenig mitgebracht?«
Martin Silenus lachte und sagte laut:
Ne cared he for wine, or half-and-half,
Ne cared he for fish, flesh or fowl,
And sauces held he worthless as the chaff;
He 'sdained the swine-herd at the wassail-bowl,
Ne with lewd ribbalds sat he cheek by jowl,
Ne with sly Lemans in the scorner's chair,
But after water-brooks this Pilgrim's soul
Panted, and all his food was woodland air
Though he would oft-times feast on gillyflowers rare.
Nichts lag ihm an Wein, nichts lag ihm an Schorle,
Nichts lag ihm an Fisch, Fleisch oder Geflügel,
Und Soßen waren ihm wertlos wie Spreu;
Er verabscheute die Schweineherde am Trog,
Und saß nicht mit Zotenreißern beisammen,
Noch mit Mätressen auf der Spötterbank,
Doch nach Quellen dürstete des Pilgers Seele,
Und Waldluft genügte ihm als Nahrung,
Doch labte er sich oft an selt'nen Gartennelken.
Duré lächelte, eindeutig verwirrt.
»Wir haben alle gedacht, daß wir in der ersten Nacht triumphieren oder sterben würden«, sagte der Konsul. »Mit einem langen Aufenthalt hier haben wir nicht gerechnet.«
Brawne Lamia stand auf und wischte sich die Hosen ab. »Ich gehe«, sagte sie. »Ich dürfte vier bis fünf Tagesrationen hertragen können, wenn es sich um Feldpacks oder die schichtverpackten Vorräte handelt, die wir gesehen haben.«
»Ich gehe auch«, sagte Martin Silenus.
Es herrschte Schweigen. Im Verlauf der einwöchigen Pilgerfahrt waren der Dichter und Lamia ein halbes Dutzend Mal beinahe zu Tätlichkeiten übergegangen. Einmal hatte sie gedroht, sie würde den Mann umbringen. Sie sah ihn lange an. »Na gut«, sagte sie schließlich. »Gehen wir bei der Sphinx vorbei und holen unsere Rucksäcke und Wasserflaschen.«
Die Gruppe ging das Tal entlang, während die Schatten der westlichen Felswand länger wurden.
17
Zwölf Stunden vorher trat Oberst Fedmahn Kassad von der Wendeltreppe auf das höchste erhaltene Geschoß des Kristallmonolithen. Flammen loderten auf allen Seiten empor. Durch die Löcher, die er in die Kristalloberfläche des Gebildes gefeuert hatte, konnte Kassad Dunkelheit erkennen. Der Sturm wehte karmesinroten Sand durch die Öffnungen, bis dieser die Luft wie Staub gewordenes Blut erfüllte. Kassad zog den Helm auf.
Zehn Schritte von ihm entfernt wartete Moneta.
Sie war nackt unter dem Energiehaut-Anzug, und die Wirkung war, als wäre Quecksilber direkt auf die Haut gegossen worden. Kassad sah die Spiegelungen der Flammen auf den Rundungen von Brüsten und Schenkeln und das Funkeln in den Grübchen an Hals und Nabel. Ihr Hals war lang, das Gesicht perfekt und ebenmäßig glatt verchromt. In ihren Augen spiegelte sich doppelt der Schatten der großen Gestalt von Fedmahn Kassad.
Kassad hob das Gewehr und klickte den Wahlschalter manuell auf Spektrum-Total-Feuer. In seinem aktivierten Kampfpanzer verkrampfte sich sein Körper in Erwartung eines Angriffs.
Moneta bewegte die Hand, worauf der Hautanzug vom Kopf bis zum Hals verschwand. Jetzt war sie verwundbar. Kassad war, als würde er jede Facette ihres Gesichts kennen, jede Pore und jedes Fältchen. Ihr braunes Haar war kurz geschnitten und fiel sanft nach links.
Die Augen waren unverändert – groß, neugierig, von grüner Tiefe. Der kleine Mund mit der vollen
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