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Die Hyperion-Gesänge

Die Hyperion-Gesänge

Titel: Die Hyperion-Gesänge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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Tagelöhner in ihren verfallenen Häusern am südlichen Stadtrand keine ausreichend nahrhafte Diät bekamen, also leerte sie die Vorratskammern, Kühlschränke, Gefriertruhen und Synthetisierer des Hauses, überredete drei Freundinnen, sie zu begleiten, und verteilte Lebensmittel im Wert von mehreren hundert Mark des monatlichen Lebensmittelbudgets ihrer Eltern.
    Als sie zehn war, reagierte Rachel auf eine Herausforderung von Stubby Berkowitz und versuchte, auf die älteste Ulme in Crawford zu klettern. Sie war vierzig Meter weit oben, keine fünf Meter mehr von der Spitze entfernt, als ein Zweig brach und sie zwei Drittel des Wegs zu Boden stürzte. Sol war gerade in sein Komlog eingeklinkt, während er die moralische Auswirkung der ersten nuklearen Abrüstungsära der Erde diskutierte. Er verließ den Unterricht ohne ein Wort und lief die zwölf Blocks bis zum Med-Center.
    Rachel hatte das linke Bein und zwei Rippen gebrochen, einen Lungenriss und einen angebrochenen Kiefer. Sie schwamm in einem Bad mit Nährlösung, als Sol hereingeplatzt kam, aber es gelang ihr, ihrer Mutter über die Schulter zu sehen, etwas zu lächeln und durch die Drahtklammer um ihren Kiefer zu sagen: »Dad, ich war fünf Meter von der Spitze weg. Vielleicht noch weniger. Nächstes Mal schaffe ich es.«
     
    Rachel machte ihren Abschluss mit Auszeichnung in sekundären Tutorenlehrgängen und erhielt Stipendienangebote von Firmenakademien auf fünf Welten und von drei Universitäten, darunter Harvard auf der Neuen Erde. Sie entschied sich für Nightenhelser.
    Sol überraschte es wenig, dass sich seine Tochter für Archäologie
als Hauptfach entschied. Seine vernarrtesten Erinnerungen an sie waren die, wie sie mit zwei unter der Veranda hockte, im Lehm grub, nicht auf Spinnen oder Tausendfüßler achtete und ins Haus gelaufen kam, um jede Plastikscherbe und jeden verrosteten Pfennig vorzuzeigen, die sie ausgegraben hatte, und zu fragen, woher das käme und wie die Leute gewesen seien, die das dahingelegt hatten.
    Rachel machte ihr Examen mit neunzehn Standardjahren, arbeitete den Sommer über auf der Farm ihrer Mutter und farcastete im Herbst weg. Sie studierte achtundzwanzig lokale Monate an der Reichs-Universität auf Freeholm, und als sie zurückkam, war es, als würde Sarais und Sols Welt wieder Farbe bekommen.
    Zwei Wochen genoss es ihre Tochter – die jetzt erwachsen war, selbstbewusst und auf eine Weise selbstsicher, wie es doppelt so alte Erwachsene manchmal nicht sind –, wieder zu Hause zu sein. Eines Abends, als sie kurz nach Sonnenuntergang über den Campus schlenderten, bedrängte sie ihren Vater nach Einzelheiten über seine Herkunft. »Dad, betrachtest du dich immer noch als Juden?«
    Sol strich sich mit der Hand über das schüttere Haar; die Frage überraschte ihn. »Als Juden? Ja, ich glaube schon. Aber das bedeutet nicht mehr dasselbe wie früher.«
    »Bin ich Jüdin?«, fragte Rachel. Ihre Wangen leuchteten im spärlichen Licht.
    »Wenn du eine sein willst«, sagte Sol. »Es hat nicht mehr dieselbe Bedeutung, nachdem die Alte Erde untergegangen ist.«
    »Wenn ich ein Junge wäre, hättest du mich dann beschneiden lassen?«
    Sol lachte, weil ihn die Frage entzückte und zugleich verlegen machte.
    »Im Ernst«, sagte Rachel.

    Sol rückte die Brille zurecht. »Ich glaube, das hätte ich, Kleines. Aber ich habe nie darüber nachgedacht.«
    »Warst du in der Synagoge in Bussard?«
    »Seit meiner Bar-Mizwa nicht mehr«, sagte Sol und dachte an den Tag vor fünfzig Jahren zurück, als sein Vater Onkel Richards Vikken geliehen und mit der ganzen Familie zu dem Ritual in die Hauptstadt geflogen war.
    »Dad, warum sind die Juden der Meinung, dass die Sache jetzt … nicht mehr so wichtig ist wie vor der Hegira?«
    Sol breitete die Hände aus – kräftige Hände, eher die eines Handwerkers als eines Akademikers. »Eine gute Frage, Rachel. Wahrscheinlich, weil so viel vom Traum gestorben ist. Israel ist tot. Der Neue Tempel hielt nicht einmal so lange wie der erste und der zweite. Gott hat sein Wort gebrochen, als Er die Erde zum zweiten Mal so untergehen ließ. Und diese Diaspora ist … für immer.«
    »Aber an manchen Stätten bewahren die Juden ihre ethnische und religiöse Identität«, beharrte seine Tochter.
    »Ja, gewiss. Auf Hebron und in isolierten Gegenden des Concourse kann man ganze Gemeinden finden … Chassidim, Orthodoxe, Hasmonäer, was du willst … Aber sie sind meist nonvital, malerisch,

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