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Die Hyperion-Gesänge

Die Hyperion-Gesänge

Titel: Die Hyperion-Gesänge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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Netz, doch das spielte für Sol und Sarai keine Rolle, da sie sich keine regelmäßigen Farcasterausflüge leisten konnten und auch kaum den Wunsch verspürten, einmal wegzugehen. Sol hatte vor Kurzem sein zehnjähriges Jubiläum am Nightenhelser-College gefeiert, wo er Geschichte und Klassische Studien unterrichtete und eigene Forschungen über ethische Evolution anstellte. Nightenhelser war eine kleine Schule, weniger als dreitausend Studenten, aber ihr akademischer Ruf war vorzüglich und sie zog Studenten von überall aus dem Netz an. Die Hauptbeschwerde der Studenten war, dass Nightenhelser und die umliegende Gemeinde Crawford eine Insel der Zivilisation in einem Meer aus Mais bildeten. Das stimmte: Das College war dreitausend Meilen von der Hauptstadt Bussard entfernt, und das dazwischenliegende terraformte Land wurde ausschließlich landwirtschaftlich genutzt. Man hatte keine Wälder roden, sich um keine Hügel kümmern müssen, und es gab keine Berge, die die flache Monotonie von Maisfeldern, Bohnenfeldern, Maisfeldern, Weizenfeldern, Maisfeldern, Reisterrassen und Maisfeldern unterbrach. Der radikale Dichter Salmud Brevy hatte vor dem Glennon-Height-Aufstand kurz am Nightenhelser unterrichtet, war gefeuert worden, nach Renaissance Vector gefarcastet und hatte seinen Freunden erzählt, dass Crawford County auf Süd-Sinzer auf Barnards Welt den Achten Kreis der Einsamkeit bildete und ein winziger Pickel am Arsch der Schöpfung war.
    Sol und Sarai Weintraub gefiel es. Crawford, eine Stadt mit
fünfundzwanzigtausend Seelen, hätte einer amerikanischen Siedlung des neunzehnten Jahrhunderts nachgebaut sein können. Die Straßen waren breit und lagen unter Baldachinen von Eichen und Ulmen. (Barnards Welt war die zweite extrasolare Erdkolonie gewesen, Jahrhunderte vor Hawking-Antrieb und Hegira, und die Saatschiffe damals waren riesig gewesen.) Die Häuser in Crawford präsentierten Stile, die von frühviktorianisch bis kanadisch-neugotisch reichten, aber sie schienen alle weiß zu sein und hinter gepflegten Rasenflächen zu liegen.
    Das College selbst war georgianisch, eine Ansammlung von roten Backsteinen und weißen Säulen um einen ovalen Platz. Sols Büro befand sich im dritten Stock der Placher Hall, dem ältesten Gebäude auf dem Campus, und im Winter konnte er kahle Zweige sehen, die den Platz in komplexe geometrische Figuren aufteilten. Sol gefiel der Geruch nach Kreidestaub und altem Holz, ein Geruch, der sich nicht verändert hatte, seit er dort Anfänger gewesen war, und jeden Tag, wenn er in sein Büro ging, bewunderte er die tief ausgetretenen Stufen  – das Erbe von zwanzig Generationen von Nightenhelser-Studenten.
    Sarai war auf einer Farm auf halbem Wege zwischen Bussard und Crawford zur Welt gekommen und hatte ihren Abschluss in Musiktheorie gemacht, ein Jahr bevor Sol seinen Doktor bekam. Sie war eine glückliche und quirlige junge Frau gewesen und hatte an Persönlichkeit wettgemacht, was ihr an Normen körperlicher Schönheit fehlte, und sie rettete diese attraktive Persönlichkeit auch ins spätere Leben. Sie hatte zwei Jahre außerhalb an der Universität von Neu-Lyon und Deneb Drei studiert, aber dort hatte sie Heimweh: Die Sonnenuntergänge waren zu abrupt, die zerklüfteten Berge schnitten das Sonnenlicht wie eine gezackte Sichel ab, und sie sehnte sich nach den stundenlangen Sonnenuntergängen von zu Hause,
wo Barnards Stern wie ein großer angebundener roter Ballon am Horizont hing, während der Himmel zum Abend gerann. Ihr fehlte die völlige Flachheit, wo ein Mädchen, das zum Fenster ihres Zimmers unter dem steilen Giebel im dritten Stock hinaussah, fünfzig Kilometer über angebaute Felder sehen und erkennen konnte, wie sich ein Gewitter wie ein purpurner, durch Blitze von innen beleuchteter Vorhang näherte. Und Sarai vermisste ihre Familie.
    Sie traf Sol eine Woche nach ihrer Versetzung ans Nightenhelser; es vergingen weitere drei Jahre, bis er ihr einen Antrag machte, den sie annahm. Anfangs fand sie nichts an dem kleinwüchsigen Studenten. Damals trug sie noch die Mode des Netzes, studierte postdestruktionistische Musiktheorien, las Obit und Nihil und die avantgardistischsten Magazine von Renaissance Vector und TC 2 , heuchelte gebildete Lebensverdrossenheit und pflegte ein rebellisches Vokabular – und das alles passte überhaupt nicht zu dem kleinen, ernsten Studenten der Geschichte, der ihr bei der Party zu Ehren von Dekan Moore Obstsalat aufs Kleid schüttete. Exotische

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