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Die Hyperion-Gesänge

Die Hyperion-Gesänge

Titel: Die Hyperion-Gesänge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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ächzte
und neigte sich heftig nach Steuerbord, als er einen neuen Abschnitt seiner Reise begann.
    »M. Lamia«, fragte Oberst Kassad, »möchten Sie jetzt Ihre Geschichte erzählen?«
    Lamia verschränkte die Arme und sah zu den regennassen Scheiben. »Nein. Warten wir, bis wir von diesem verdammten Schiff runter sind. Es stinkt hier nach Tod.«
     
    Der Windwagen lief am Nachmittag im Hafen von Pilgrim’s Rest ein, aber durch das Unwetter und das Licht kam es den müden Passagieren vor, als wäre es schon Abend. Der Konsul hatte damit gerechnet, dass ein Repräsentant des Shrike-Tempels sie hier am Beginn der letzten Station ihrer Reise erwarten würde, doch Pilgrim’s Rest schien dem Konsul ebenso verlassen zu sein, wie es Edge gewesen war.
    Der Anblick der Vorgebirge und des Bridle Range war so atemberaubend, dass alle sechs Pilger trotz des anhaltenden kalten Regens an Deck kamen. Die Vorgebirge waren von der Sonne verbrannt und förmlich greifbar, ihre braunen Hänge und Kurven bildeten einen schroffen Kontrast zum einförmigen Grasmeer. Die neuntausend Meter aufragenden Gipfel dahinter sah man nur andeutungsweise in Form grauer und weißer Ebenen, die sich alsbald hinter tiefhängenden Wolken verbargen; sie boten aber auch derart geköpft ein eindrucksvolles Bild. Die Schneefallgrenze lag unmittelbar oberhalb der Ansammlung von Lehmhütten und billigen Hotels, die Pilgrim’s Rest gewesen waren.
    »Wenn sie die Seilbahn zerstört haben, sind wir am Ende«, murmelte der Konsul. Der Gedanke, den er bisher unterdrückt hatte, drehte ihm den Magen um.
    »Ich sehe die ersten fünf Türme«, sagte der Oberst, der sein Verstärkerglas benützte. »Sie scheinen unversehrt zu sein.«
    »Eine Gondel?«

    »Nein … Moment, doch. Eine steht unter dem Tor der Plattform.«
    »Welche in Bewegung?«, fragte Martin Silenus, der offensichtlich begriff, wie verzweifelt ihre Situation sein würde, sollte die Seilbahn nicht funktionieren.
    »Nein.«
    Der Konsul schüttelte den Kopf. Die Kabinen waren sonst selbst bei schlechtestem Wetter und ohne Passagiere verkehrt, damit die dicken Trossen belastet und eisfrei blieben.
    Die sechs hatten ihr Gepäck an Deck, bevor der Windwagen die Segel reffte und die Planke ausfuhr. Jeder trug jetzt einen dicken Mantel wegen der Witterung: Kassad ein Thermotarncape von FORCE, Brawne Lamia ein langes Kleidungsstück, das man aus längst vergessenen Gründen Trenchcoat nannte, Martin Silenus einen dichten Pelz, der in den Windböen mal schwarz, mal grau wogte, Pater Hoyt eine lange, schwarze Robe, in der er mehr denn je wie eine Vogelscheuche aussah, Sol Weintraub eine dicke Windjacke, die ihn und das Kind einhüllte, und der Konsul einen fadenscheinigen, aber immer noch stattlichen Prunkmantel, den ihm seine Frau vor Jahrzehnten einmal geschenkt hatte.
    »Was ist mit den Sachen von Kapitän Masteen?«, fragte Sol, als sie am oberen Ende der Planke standen. Kassad war schon vorausgegangen, um das Dorf zu erkunden.
    »Ich habe sie raufgebracht«, sagte Lamia. »Wir nehmen sie mit.«
    »Irgendwie scheint das nicht richtig zu sein«, sagte Pater Hoyt. »Einfach so weiterzuziehen, meine ich. Wir sollten eine Art … Gottesdienst abhalten. Eine Trauerfeier, weil ein Mensch gestorben ist.«
    »Vielleicht gestorben ist«, erinnerte ihn Lamia und hob einen vierzig Kilo schweren Rucksack mühelos mit einer Hand hoch.

    Hoyt sah sie fassungslos an. »Glauben Sie wirklich, dass M. Masteen noch am Leben sein könnte?«
    »Nein«, sagte Lamia. Schneeflocken ließen sich auf ihrem schwarzen Haar nieder.
    Kassad winkte ihnen vom Ende des Docks zu, worauf sie ihr Gepäck von dem stillen Windwagen trugen. Niemand sah zurück.
    »Verlassen?«, fragte Lamia, als sie sich dem Oberst näherten. Das Cape des großen Mannes waberte immer noch nach Chamäleonart schwarz und grau.
    »Verlassen.«
    »Leichen?«
    »Nein«, sagte Kassad. Er wandte sich an Sol und den Konsul. »Haben Sie die Sachen aus der Kombüse geholt?«
    Beide Männer nickten.
    »Was für Sachen?«, fragte Silenus.
    »Eine Wochenration Lebensmittel«, sagte Kassad, drehte sich um und sah bergauf zur Talstation der Seilbahn. Der Konsul bemerkte zum ersten Mal die lange Angriffswaffe unter der Achsel des Obersts, wo sie unter dem langen Mantel kaum zu sehen war. »Wir sind nicht sicher, ob es nach diesem Punkt noch Verpflegung gibt.«
    Werden wir in einer Woche überhaupt noch am Leben sein?, dachte der Konsul. Er sagte nichts.
    Sie transportierten

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