Die Hyperion-Gesänge
als wäre sie eine Viper.
»Was vermuten Sie?«, sagte ich. »Wieder AIDS II?«
Er schüttelte den Kopf.
»Ich kenne einen Ort, wo ich das analysieren lassen kann«, sagte ich. »Ich vermute, es ist nur eine hypnotisierende Droge. Sie wollten nur, dass Sie mitkommen – nicht Sie töten.«
Johnny verschob den Trockenverband und verzog das Gesicht. Das Blut strömte immer noch. »Warum sollte jemand einen Cybrid entführen wollen?«
»Das müssen Sie mir sagen. Ich komme allmählich zur Überzeugung, dass Ihre sogenannte Ermordung nur ein verpatzter Entführungsversuch war.«
Johnny schüttelte wieder den Kopf.
Ich sagte: »Hatte einer der Männer einen Queue?«
»Ich weiß nicht. Sie hatten Kapuzen und Osmosemasken auf.«
»War einer groß genug für einen Tempelritter oder kräftig genug für einen Lusier?«
»Ein Tempelritter?« Johnny war überrascht. »Nein. Einer war von durchschnittlicher Netzgröße. Der mit der Ampulle könnte ein Lusier gewesen sein. Kräftig genug war er.«
»Sie haben also einen lusischen Schurken mit bloßen Händen verfolgt. Haben Sie Bioprozessoren oder Zusatzimplantate, von denen ich nichts weiß?«
»Nein. Ich war nur wütend.«
Ich half ihm auf die Beine. »Demnach werden auch KIs wütend?«
»Ich schon.«
»Kommen Sie«, sagte ich. »Ich kenne eine vollautomatische Med-Klinik, die billig ist. Danach bleiben Sie eine Weile bei mir.«
»Bei Ihnen? Warum?«
»Weil Sie jetzt nicht mehr nur eine Detektivin brauchen«, sagte ich. »Jetzt brauchen Sie auch einen Leibwächter.«
Meine Wohnung war im Zonenplan des Stocks nicht als Apartment verzeichnet; ich hatte einen renovierten Warenhausloft von einem Freund übernommen, der Kredithaien aufgesessen war. Mein Freund hatte in einem späteren Lebensabschnitt beschlossen, zu einer der Kolonien im Outback zu emigrieren, und ich hatte die Unterkunft, die nur einen Klick den Flur entlang von meinem Büro entfernt lag, günstig bekommen. Die Umgebung war ein wenig rauh, und manchmal machte der Lärm von den Ladedocks eine Unterhaltung unmöglich, aber ich hatte zehnmal so viel Platz wie in einem normalen Wohnkubus und konnte meine Gewichte und Fitnessgeräte daheim benützen.
Johnny schien die Behausung echt zu gefallen, und ich hätte mir in den Hintern treten können, weil mich das so freute. Es würde noch soweit kommen, dass ich Lippenstift und Körperrouge für diesen Cybrid auftrug.
»Warum leben Sie auf Lusus?«, fragte ich ihn. »Die meisten Außenweltler finden die Schwerkraft lästig und die Landschaft monoton. Außerdem befindet sich Ihr Forschungsmaterial in der Bibliothek auf Renaissance V. Warum hier?«
Ich sah ihn genau an und hörte aufmerksam zu, als er antwortete. Sein Haar war oben gerade, in der Mitte gescheitelt und fiel in rotbraunen Locken über seinen Kragen. Er hatte die Angewohnheit, beim Sprechen die Wange auf die Faust zu stützen. Mir fiel auf, dass sein Dialekt eigentlich der Nichtdialekt von jemand war, der eine Sprache perfekt gelernt hat, doch ohne die nachlässigen Verkürzungen von jemand, der mit ihr aufgewachsen ist. Und darunter lag die Andeutung eines Singsangs, wie ich ihn einmal bei einem Schmuggler gehört hatte, der auf Asquith aufgewachsen war, einer ruhigen Hinterwelt des Netzes, die von Kolonisten der Ersten Expansion besiedelt worden war, die von den ehemaligen Britischen Inseln stammten.
»Ich habe auf vielen Welten gelebt«, sagte er. »Mein Zweck ist es, zu beobachten.«
»Als Dichter?«
Er schüttelte den Kopf, zuckte zusammen und berührte zaghaft die Stiche. »Nein. Ich bin kein Dichter. Er war einer.«
Trotz der Umstände hatte Johnny eine Energie und Vitalität in sich, wie ich sie bei viel zu wenig Männern erlebt hatte. Es ist schwer zu beschreiben, aber ich war schon in Räumen mit bedeutenderen Persönlichkeiten gewesen, die es alle so eingerichtet hatten, dass sie um Persönlichkeiten wie seine kreisten. Es war nicht nur seine Schweigsamkeit und Feinfühligkeit, es war eine Intensität , die er auch dann verströmte, wenn er nur beobachtete.
»Warum leben Sie hier?«, fragte er.
»Ich wurde hier geboren.«
»Ja, aber Sie haben die Jahre Ihrer Kindheit auf Tau Ceti Center verbracht. Ihr Vater war Senator.«
Ich sagte nichts.
»Viele Leute haben erwartet, dass Sie in die Politik gehen würden«, sagte er. »Hat der Selbstmord Ihres Vaters Sie davon abgehalten?«
»Es war kein Selbstmord«, sagte ich.
»Nicht?«
»Es wurde in allen Zeitungen und
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