Die Hyperion-Gesänge
davon ausgegangen«, sagte sie immer noch an Morpurgo gewandt, »dass in den Geheimdienstschätzungen von FORCE, als diese hereinkamen, auch die Projektionen des Rats berücksichtigt sein würden.«
Der FORCE: Bodentruppen-General sah Albedo finster an. »Nein, Ma’am«, sagte er. »Da der Core keine Verbindung zu den Ousters eingesteht, sind wir davon ausgegangen, dass seine Schätzungen nicht besser als unsere sein können. Wir haben das MAO:HTN-Aggregat-KI-Netz für unsere Einschätzung benützt.« Er steckte die verkürzte Zigarre wieder in den Mund. Sein Kinn hüpfte. Als er wieder sprach, sprach er um die Zigarre herum. »Hätte es der Rat besser machen können?«
Gladstone sah Albedo an.
Der Ratgeber machte eine knappe Geste mit den langen Fingern der rechten Hand. »Unsere Schätzungen … für diesen Schwarm … gingen von vier- bis sechstausend Kampfeinheiten aus.«
»Sie …«, begann Morpurgo mit rotem Gesicht.
»Davon haben Sie während der Stabsbesprechung nichts gesagt«, sagte Präsidentin Gladstone. »Und während unserer früheren Einschätzungen auch nicht.«
Ratgeber Albedo zuckte mit den Achseln. »Der General hat recht«, sagte er. »Wir haben keine Kontakte zu den Ousters.
Unsere Schätzungen sind nicht zuverlässiger als die von FORCE, sondern basieren lediglich … auf anderen Voraussetzungen. Das Historisch-Taktische Network der Militärakademie Olympus leistet ausgezeichnete Arbeit. Würden die dortigen KIs nur eine Einheit höher auf der Turing-Demmler-Skala liegen, müssten wir sie in den Core bringen.« Er machte wieder die anmutige Geste mit der Hand. »Es könnte sein, dass die Hochrechnungen des Rats für zukünftige Planungen von Nutzen sein könnten. Wir werden selbstverständlich jederzeit alle Berechnungen dieser Gruppe übergeben.«
Gladstone nickte. »Tun Sie das unverzüglich.« Sie drehte sich wieder zum Bildschirm um, ebenso die anderen.
Die Saalmonitore nahmen das Schweigen wahr und schalteten die Lautsprecher wieder zu, und wir konnten erneut die Siegesschreie, Hilferufe und gelassenen Aufzählungen aller Positionen, Feuerbefehlsangaben und Kommandos hören.
Die nächstgelegene Wand zeigte eine Echtzeitprojektion des Schlachtschiffs HS N’Djamena, das in den kreisenden Trümmern von Kampfgruppe B.5 nach Überlebenden suchte. Das beschädigte Schlachtschiff, dem es sich näherte, sah in tausendfacher Vergrößerung wie ein von innen explodierter Granatapfel aus, dessen Kerne und rote Schale sich in Zeitlupe drehten und in eine Wolke aus Teilchen, Gasen, gefrorenen Dämpfen, einer Million aus ihren Verankerungen gerissenen Mikroelektronikbauteilen, Lebensmittelspeichern, verhakter Ausrüstung und – hin und wieder an ruckartigen Marionettenbewegungen von Armen oder Beinen zu erkennen – vielen, vielen Leichen hineintrudelte. Die Suchscheinwerfer der N’Djamena , nach einem kohärenten Verlauf von zwanzigtausend Meilen zehn Meter im Durchmesser, glitten über gefrorene Wrackteile im Sternenlicht und machten individuelle Eigenheiten, Facetten und Gesichter deutlich. Auf eine schreckliche Weise war der Anblick
schön. Im reflektierten Licht sah Gladstones Gesicht viel älter aus.
»Admiral«, sagte sie, »kann man davon ausgehen, dass der Schwarm gewartet hat, bis Task Force 87.2 ins System übersetzte?«
Singh griff sich an den Bart. »Fragen Sie, ob es sich um eine Falle gehandelt hat, Präsidentin?«
»Ja.«
Der Admiral sah seine Kollegen an, dann Gladstone. »Das glaube ich nicht. Wir glauben … ich glaube … als die Ousters das Ausmaß unserer Kampfkraft sahen, haben sie in der entsprechenden Weise reagiert. Das bedeutet freilich, dass sie unerbittlich entschlossen sind, das Hyperion-System einzunehmen.«
»Können sie das schaffen?«, fragte Gladstone, die den Blick nicht von den kreisenden Trümmern über sich wandte. Der Leichnam eines jungen Mannes, halb im Raumanzug und halb im Vakuum, trudelte in Richtung der Kamera. Die geplatzten Augen und die herausgewürgte, eisverkrustete Lunge waren deutlich zu sehen.
»Nein«, sagte Admiral Singh. »Sie können uns Schäden zufügen. Sie könnten uns sogar bis zur äußersten Verteidigungsgrenze um Hyperion zurücktreiben. Aber sie können uns nicht besiegen oder vertreiben.«
»Oder den Farcaster zerstören?« Die Stimme von Senatorin Richeau klang gepresst.
»Auch nicht den Farcaster zerstören«, sagte Singh.
»Er hat recht«, sagte General Morpurgo. »Dafür würde ich mit meiner beruflichen
Weitere Kostenlose Bücher