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Die Hyperion-Gesänge

Die Hyperion-Gesänge

Titel: Die Hyperion-Gesänge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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ihre Entscheidung, für ihre Besessenheit bezahlen mussten.
    Fünf Jugendliche, die Hinterzimmer-ARNisten so sehr ver ändert hatten, dass sie mehr Tiere als Menschen waren, traten vor Gladstone auf den Korridor. Sie wartete.
    Die Mikrofernsonde senkte sich vor sie und deaktivierte ihr Tarnpolymer. Die Kreaturen vor ihr lachten, weil sie nur eine wespengroße Maschine sahen, die durch die Luft sauste und schnellte. Es war denkbar, dass ihre RNS-Veränderung so weit fortgeschritten war, dass sie den Mechanismus nicht einmal mehr erkannten. Zwei klappten Vibradolche aus. Einer entblößte
zehn Zentimeter lange Stahlkrallen. Einer brachte eine Projektilpistole mit drehbaren Läufen zum Vorschein.
    Gladstone wollte nicht kämpfen. Sie wusste, was diese Tunichtgute von Dregs’ Stock nicht wussten – dass die Mikrofernsonde sie nämlich vor diesen fünf und hundert weiteren gleichzeitig beschützen konnte. Aber sie wollte nicht, dass jemand getötet wurde, nur weil sie sich Dregs’ Stock für ihren Spaziergang ausgesucht hatte.
    »Haut ab!«, sagte sie.
    Die Jugendlichen sahen sie an, gelbe Augen, hervorquellende schwarze Augen, abgeschirmte Schlitze und fotorezeptive Bauchbinden. Sie formierten sich zu einem Halbkreis und kamen zwei Schritte näher auf sie zu.
    Meina Gladstone richtete sich auf, raffte das Cape um sich und ließ den Nicht-stören-Kragen so weit herunter, dass sie ihre Augen sehen konnten. »Haut ab!«, sagte sie noch einmal.
    Die Jugendlichen zauderten. Federn und Schuppen vibrierten in imaginären Brisen. An zweien wackelten Fühler, pulsierten Tausende sensitive Härchen.
    Sie hauten ab. Ihr Verschwinden war so rasch und lautlos wie ihr Erscheinen. Binnen einer Sekunde war nur noch das Tropfen von Wasser zu hören – und fernes Gelächter.
    Gladstone schüttelte den Kopf, ließ ihr persönliches Portal erscheinen und ging hindurch.
     
    Sol Weintraub und seine Tochter kamen von Barnards Welt. Gladstone sprang zu einem kleinen Terminex in ihrer Heimatstadt Crawford. Es war Abend. Flache, weiße Häuser hinter gepflegten Rasenflächen kündeten vom guten Geschmack des Canadian Republic Revival und dem Sinn fürs Praktische der Farmer. Die Bäume waren hoch, mit breiten Ästen und ihrem Erbe von der Alten Erde erstaunlich treu. Gladstone wandte sich vom Strom der Fußgänger ab, die zum überwiegenden
Teil heimwärts eilten, nachdem sie einen Arbeitstag anderswo im Netz hinter sich gebracht hatten, und ging auf Plattenwegen an Backsteinhäusern vorbei und um ein Rasenoval herum. Links konnte sie Felder hinter einer Häuserzeile erkennen. Hohe, grüne Pflanzen, möglicherweise Mais, wuchsen in leise seufzenden Reihen, die sich zum fernen Horizont erstreckten, wo die Rundung einer riesigen roten Sonne gerade unterging.
    Gladstone schlenderte über den Campus und fragte sich, ob dies das College war, an dem Sol unterrichtet hatte, aber sie war nicht so neugierig, dass sie die Datensphäre befragt hätte. Gaslaternen entflammten unter dem Baldachin grüner Blätter, und in den Lücken wurden die ersten Sterne an einem Himmel sichtbar, der sich von Azur über Bernstein zu Ebenholz wandelte.
    Gladstone hatte Weintraubs Buch Das Abraham-Dilemma gelesen, in dem er die Beziehung zwischen einem Gott, der das Opfer eines Sohnes verlangte, und der menschlichen Spezies analysierte, die sich darauf einließ. Weintraub hatte ausgeführt, dass der Jehova des Alten Testaments Abraham nicht einfach nur auf die Probe gestellt, sondern in der einzigen Sprache von Loyalität, Gehorsam und Opfer zu ihm gesprochen hatte, die die Menschheit an diesem Punkt der Beziehung verstand. Weintraub hatte die Botschaft des Neuen Testaments als Ankündigung eines neuen Stadiums dieser Beziehung gedeutet – eines Stadiums, in dem die Menschheit nicht mehr Kinder einem Gott opfern würde, aus welchen Gründen auch immer, sondern Eltern stattdessen sich selbst darboten. Daher die Holocausts des zwanzigsten Jahrhunderts, der Kurze Schlagabtausch, die Dreierkriege, die tollkühnen Jahrhunderte und möglicherweise sogar der Große Fehler von’38.
    Schließlich hatte Weintraub sämtliche Opfer abgelehnt, jegliche
Beziehung mit einem Gott verweigert, es sei denn, diese würde auf gegenseitigem Respekt und dem Willen beruhen, einander zu verstehen. Er schrieb von den vielen Toden Gottes und der Notwendigkeit einer göttlichen Auferstehung, nachdem die Menschheit ihre eigenen Götter geschaffen und auf das Universum losgelassen

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