Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Hyperion-Gesänge

Die Hyperion-Gesänge

Titel: Die Hyperion-Gesänge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
Vom Netzwerk:
ging dicht an das Sperrfeld und betrachtete durch den wabernden violetten Dunst die Treppe, wo Brawne Lamia ihren sterbenden Klienten und Liebhaber, den ursprünglichen Keats-Cybrid, zu den wartenden Priestern des Shrike hinaufgetragen hatte. Gladstone hatte Brawnes Vater gut gekannt; sie hatten ihre frühesten Jahre im Senat gemeinsam verbracht. Senator Byron Lamia war ein brillanter Mann gewesen – einmal, lange bevor Brawnes Mutter von ihrer Hinterwäldlerprovinz auf Freeholm die gesellschaftliche Bühne betreten hatte, hatte Gladstone sich überlegt, ob sie ihn heiraten sollte –, und als er starb, war ein Teil von Gladstones Jugend mit ihm zu Grabe getragen worden. Byron Lamia war vom TechnoCore besessen gewesen und von Sendungsbewusstsein verzehrt worden, die Menschheit vom Band zu erlösen, mit dem die KIs sie seit fünf Jahrhunderten und tausend Lichtjahren gängelten. Brawne Lamias Vater war es gewesen, der Gladstone auf die Gefahr aufmerksam gemacht hatte – er hatte sie zu der Überzeugung gebracht, die den schrecklichsten Verrat in der Menschheitsgeschichte zur Folge hatte.
    Und Senator Byron Lamias »Selbstmord« hatte sie veranlasst, jahrzehntelang auf der Hut zu sein. Gladstone wusste nicht, ob Agenten des Core den Tod des Senators eingefädelt hatten, möglicherweise auch Elemente der Hegemoniehierarchie,
die ihre eigenen verstohlenen Interessen schützten, aber sie wusste, dass sich Byron Lamia niemals das Leben genommen, niemals seine hilflose Frau und eigensinnige Tochter auf diese Weise im Stich gelassen hätte. Senator Lamias letzte Tat im Senat war gewesen, die Aufnahme von Hyperion ins Protektorat mit vorzuschlagen, ein Schachzug, der diese Welt zwanzig Standardjahre früher hätte ins Netz bringen können als die momentanen Ereignisse. Nach seinem Tod hatte die Mitantragstellerin – die einflussreich gewordene Meina Gladstone  – den Vorschlag zurückgezogen.
    Gladstone fand einen Transportschacht und sank an Einkaufs- und Wohnetagen, Manufaktur- und Dienstleistungsebenen, Abfallbeseitigungs- und Reaktoretagen vorbei. Ihr Komlog und Lautsprecher des Transportschachts warnten sie gleichermaßen, dass sie verbotene und unsichere Zonen weit unter dem Stock betrat. Das Schachtprogramm versuchte, ihren Abstieg aufzuhalten. Sie setzte den Befehl außer Kraft und brachte die Warnungen zum Schweigen. Sie sank weiter an Ebenen ohne Anzeigetafeln oder Lichtern vorbei, durch ein Dickicht von Fiberoptikspaghettis, Heiz- und Kühlrohren und bloßem Felsgestein. Schließlich hielt sie an.
    Gladstone befand sich in einem Korridor, der nur von fernen Leuchtkugeln und öliger Glühwürmchenfarbe erhellt wurde. Wasser tröpfelte aus tausend Rissen in Decke und Wänden und sammelte sich in giftigen Pfützen. Dampf quoll aus Öffnungen in den Wänden, bei denen es sich um andere Korridore handeln mochte oder um Personalkabuffs oder einfach um Löcher. Irgendwo in der Ferne erklang das Ultraschallkreischen von Metall, das Metall schnitt; nicht so weit entfernt das elektronische Jaulen von Nihilmusik. Irgendwo schrie ein Mann, und eine Frau lachte, deren Stimme metallisch durch Schächte und Leitungen dröhnte. Das Husten eines Projektilgewehrs erklang.

    Dregs’ Stock. Gladstone kam an eine Kreuzung von Höhlenkorridoren und sah sich um. Ihre Mikrofernsonde sank herab und kam näher, so beharrlich wie ein wütendes Insekt. Sie rief nach Schutzverstärkung. Lediglich Gladstones beharrliches Außerkraftsetzen verhinderte, dass der Ruf gehört wurde.
    Dregs’ Stock. Hier hatten sich Brawne Lamia und ihr Cybridliebhaber die letzten Stunden vor ihrem Versuch versteckt, den Tempel des Shrike zu erreichen. Dies war eines der Myriaden Schlupflöcher des Netzes, wo der Schwarzmarkt von Flashback bis zu Waffen von FORCE, von illegalen Androiden bis zu gestohlenen Poulsen-Behandlungen, die einem möglicherweise umbrachten, statt noch einmal zwanzig Jahre Jugend zu schenken, alles zu bieten hatte. Gladstone wandte sich nach rechts in den dunkelsten Korridor.
    Etwas so groß wie eine Ratte, aber mit mehr Beinen wuselte in eine gesprungene Ventilationsröhre. Gladstone roch Abwasser, Fäkalien, den Ozongestank überlasteter Dateiebenendecks, den süßlichen Geruch von Handfeuerwaffentreibladungen, von Schweiß und Erbrochenem und einen Hauch von Pheromonen, die sich zu Gift zersetzt hatten. Sie ging durch die Korridore, dachte an die bevorstehenden Wochen und Monate, an den schrecklichen Preis, den die Welten für

Weitere Kostenlose Bücher